Der Begriff der Person und die Theorien zum Ich-Gefühl im indischen Buddhismus
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Eine Gegenüberstellung des Inhaltes des Pañcaskandhaka und seines Kommentars, der Pañcaskandhakavibhāṣā, mit anderen verwandten Texten zeigt bemerkenswerte Parallelen aber auch signifikante Unterschiede. Von besonderem Interesse sind dabei Beobachtungen zum Umgang der indischen Verfasser mit dem Material aus früheren Texten. Es war offenbar gängige Praxis unter buddhistischen Autoren, ganze Sätze oder Passagen aus älteren Werken zu übernehmen, ohne diese als Zitate zu markieren. Während einige Passagen völlig identisch sind, wird in anderen Beschreibungen ein ähnlicher Inhalt mit unterschiedlicher Terminologie ausgedrückt. In manchen Fällen variiert wiederum beides, Inhalt und Wortlaut. Eine mögliche Erklärung für diese Unterschiede könnte darin zu finden sein, dass die Autoren die verwandten Textabschnitte nicht direkt aus den älteren Werken kopierten, sondern sie vielmehr aus der Erinnerung aufschrieben. Dabei könnte manchmal der exakte Wortlaut und in manchen Fällen nur der sinngemäße Inhalt erhalten geblieben sein. Einige der Divergenzen können wohl auch mit dem Umstand erklärt werden, dass der Autor den entsprechenden Textabschnitt kürzen oder auch zwei (oder mehr) Quellen miteinander kombinieren wollte oder musste. Es ist jedoch ebenfalls nicht auszuschließen, dass die uns vorliegenden früheren Werke nicht in jedem Fall als direkte Quelle für die beiden Autoren Vasubandhu und Sthiramati gedient haben und sie sich auf eng verwandtes, uns aber nicht zugängliches Material stützten. Diese Option sollte vor allem bei der Beurteilung der Beziehung des Pañcaskandhaka zum Abhidharmasamuccaya berücksichtigt werden. Auf der einen Seite sind die Parallelen zwischen diesen beiden Werken unübersehbar. Auf der anderen Seite finden sich viele Divergenzen zwischen den Werken, die nur schwer erklärbar erscheinen, wenn man davon ausgeht, dass das Pañcaskandhaka eine Zusammenfassung des ersten Kapitels des Abhidharmasamuccaya darstellt. Die Überschneidungen können auch daher rühren, dass beide Texte auf eine gemeinsame Quelle, z.B. die Yogācārabhūmi, zurückgegriffen haben. Unser Verständnis von den Zusammenhängen zwischen den verschiedenen Texten und Autoren wird zusätzlich durch unsere eher begrenzte Kenntnis der von den indischen Gelehrten beim Verfassen ihrer Texte verwendeten Techniken und Methoden erschwert. Es ist bislang nicht eingehend erforscht, inwieweit es unter den altindischen Autoren notwendig war, bei den eigenen Ausführungen sehr nah an traditionellen Lehren zu bleiben und inwiefern Verfasser beispielsweise auf Kommentare zurückgriffen, um innovative Inhalte in die Tradition einzuführen. Wann wurden Passagen aus Vorgängertexten stillschweigend übernommen und wann eindeutig als Zitate markiert? Würde ein Autor, der sich in einem Werke die Standpunkte einer Tradition, in einem anderen die einer zweiten zu eigen macht (wie dies bei Vasubandhu angenommen wird), in allen seinen Texten ihm eigene stilistische Spuren hinterlassen, oder würde er so sehr mit der jeweiligen Tradition verschmelzen, dass sich seine Individualität als Autor nicht im Werk widerspiegelt? Die vorliegenden Ergebnisse des Forschungsprojektes geben erste Antworten auf diese Fragen und stellen umfangreiches Material für ihre weitere Erforschung bereit. Bezüglich möglicher Anknüpfungspunkte für eine „interdisziplinäre Kommunikation“ zum Themenbereich Person, Selbst, Bewusstsein usw. lässt sich feststellen, dass der Vergleich oder gar eine Gleichsetzung buddhistischer Konzepte zum Selbst und zur Person mit gegenwärtigen Ergebnissen aus der Neurowissenschaft oder den Kognitionswissenschaften oft nicht sinnvoll und irreführend ist. Obwohl sich beide Ansätze, der vormoderne buddhistische und der moderne (natur)wissenschaftliche, mit teilweise ähnlichen Fragestellungen befassen, stellen sich ihre Methodik, ihr Hintergrund und ihre Motivation für die Beschäftigung mit dem Thema bei näherem Hinsehen als sehr unterschiedlich heraus und sind kaum miteinander in Einklang zu bringen. Es erscheint sinnvoller, die Entwicklung solcher buddhistischer Konzepte wie des „Speicherbewusstseins“ als Versuche zu interpretieren, dem Fehlen einer materiellen Basis (von der Art eines Gehirns) mit der Schaffung eines alternativen Systems zu begegnen, und sie nicht mit modernen Theorien vom „Unbewussten“ (im Sinne Freuds bzw. Jungs) in Verbindung zu bringen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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“On Sthiramati’s Pañcaskandhakavibhāṣā: A Preliminary Survey”. Nagoya Studies in Indian Culture and Buddhism: Saṃbhāṣā 27, 2008, pp. 149-171
Jowita Kramer
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“Indian Abhidharma Literature in Tibet: The Section on Vijñāna in Sthiramati’s Pañcaskandhakavibhāṣā”. In the Proceedings of the Conference “Buddhism Across Asia: Networks of Material, Intellectual and Cultural Exchange (Singapore 2009)”, Tansen Sen (ed.), Institute of Southeast Asian Studies
Jowita Kramer
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Buchbesprechung von Artemus B. Engle, The Inner Science of Buddhist Practice, The Tsadra Foundation Series, Ithaca: Snow Lion, 2009. Indo-Iranian Journal 53, 2010, pp. 359-366
Jowita Kramer