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Die mythographische Predigt im spätmittelalterlichen England: Klassizismus, Diskurs und kleriklale Identität, 1330-1450
Antragsteller
Dr. Bernhard Hollick
Fachliche Zuordnung
Mittelalterliche Geschichte
Europäische und Amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaften
Europäische und Amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaften
Förderung
Förderung von 2017 bis 2021
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 364612353
Das antike Pantheon erwachte im spätmittelalterlichen England in der Kanzel zu neuem Leben. Zwischen 1330-1450 entstand ein umfangreiches Predigtcorpus, das christliche Inhalte mittels mythischer, meist den Metamorphosen Ovids entlehnter Bilder vermittelt. Diese Texte sind kaum erforscht, was nicht zuletzt einer verengten Forschungsperspektive geschuldet ist, die sie aus ihren sozialen, literarischen und diskursiven Zusammenhängen löst. Doch wird die den mythographischen Predigten zugrundeliegende Agenda erst sichtbar, wenn diese in einem größeren historischen Panorama betrachtet werden. Denn die Predigten sind ist keineswegs isoliert, sondern Teil einer formenreichen klassizistischen Schriftstellerei, die an intellektuellen und kulturellen Zentren wie Oxford, London und der Abtei St Albans blühte. Anders als der italienische Humanismus entstand der Klassizismus in England jedoch nicht in Opposition zur mittelalterlichen Universität. Vielmehr handelt es sich um einen Akt kultureller Selbstbehauptung des orthodoxen, scholastischen Establishments in einem Zeitalter der Kontroversen: Wilhelm von Ockham und John Wyclif, Lollardentum und die Peasants' Revolt von 1381 bedrohten den Status und das Selbstverständnis der klerikalen Eliten, die mit einer kampagnenhaften Inszenierung eigener Traditionen des Lernens und Schreibens antworteten. Die mythographischen Predigt spielt aufgrund ihres öffentlichen Charakters eine Schlüsselrolle für diese Propagandierung klerikaler Identität. Sie war keine reine Schulübung, sondern eine bewusste, weithin wahrnehmbare Intervention in öffentliche Diskurse. Basierend auf einem interdisziplinären Konzept von Intellectual History wird sich das Projekt der Entwicklung der mythographischen Predigt in England 1330-1450 in drei Schritten annähern: Es wird die Interpretation mythischer Stoffe in ausgewählten (weitgehend lateinischen, aber gelegentlich auch mittelenglischen, makkaronischen oder anglonormannischen) Predigten untersuchen, sich dann ihrer Rolle in politischen, religiösen und scholastischen Diskursen zuwenden und zuletzt die zeitgenössische Wahrnehmung dieser Praxis beschreiben. Das Projekt ist nicht nur von weitreichenderer Bedeutung, weil es Licht auf das kulturelle Umfeld von Dichtern wie Geoffrey Chaucer oder John Gower wirft. Es zeigt auch die Bedeutung der Antikenrezeption für die sozialen und geistigen Umbrüche in England am Ende des Mittelalters auf und verdeutlicht so jene spezifischen Dynamiken, die in die Kultur der Renaissance auf den britischen Inseln mündeten.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen