Gottesebenbildlichkeit und säkulares Menschenbild. Aspekte eines modernen Mysterienspiels in der Weltliteratur des 20. Jahrhunderts.
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Auswertung von mehr als 80 Theaterstücken des 20. Jahrhunderts (deutschsprachigen und nichtdeutschsprachigen), die der Gattung des Mysterienspiels zugehören oder für das Mysterienspiel typische Elemente aufweisen, hat gezeigt, daß das Mysterienspiel im Zeichen der säkularen Moderne nicht mehr als Medium religiöser Anschauungen oder Veranschaulichung einer geistig-religiösen Welt (vornehmlich des Christentums) funktioniert. Vielmehr ist das Mysterienspiel als metaphysisches Experiment konzipiert, das in Analogie zur wissenschaftlichen Methodik der modernen Naturwissenschaft eine Versuchsanordnung für die säkulare Realität entwirft, um in ihr religiöse Formationen freizulegen. Das metaphysische Experiment des modernen Mysterienspiels entdeckt diese Formationen zum einen in der Sozialität des Menschen, zum anderen in der Genderproblematik. Ausgehend von der konkreten Lebenssituation einer einzelnen Figur bzw. eines Figurenensembles wird die desolate Sozialstruktur des modernen Menschen auf Möglichkeiten des Zusammenlebens hin getestet, in denen religiöse Konfigurationen erkennbar werden. Die Genderproblematik sprengt zudem das moderne Menschenbild auf, indem sie das Verhältnis von Mann und Frau am biblischen Modell der Gottesebenbildlichkeit des Menschen orientiert, in diesem aber mit dem Genderparadox, der Vertauschung der traditionellen Rollen von Mann und Frau, sowie mit der Homosexualität, dem mann-männlichen Verhältnis in seiner Beziehung zu Gott, neue Perspektiven auf die ursprünglichen Formen der Religiosität des Menschen gewinnt.
