'Qualitätsserie' als Diskurs und Praxis: Selbst-Theoretisierungen in der deutschen Serienbranche
Publizistik und Kommunikationswissenschaft
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Fernsehen in Deutschland unterliegt aktuell und absehbar fortlaufend einer grundlegenden Veränderung. Ihr hat sich dieses Projekt zugewandt, indem es das Phänomen der Qualitätsserie in den Blick nahm. Dabei wurde dieses ohnehin schwer eingrenzbare Segment bewusst weniger im Sinne von ‚guten‘, ästhetisch und inhaltlich wertvollen Programmen, sondern vielmehr als diskursives Konstrukt betrachtet, um zu analysieren, wie Praktiker*innen es verhandeln, erproben und darüber Transformationen auf verschiedenen Ebenen reflektieren: bei den Programmangeboten, ihren Inhalten und ihrer Form; bei der Distribution und Rezeption sowie auf Seiten der Produktion, die im Mittelpunkt des Projekts stand und die Forschungsperspektive bestimmte. Die Analyse der Produzierenden aus Sicht der Media Industry Studies legte äußerst differenzierte Wahrnehmungsweisen der deutschen Qualitätsserie, insbesondere aber der genannten Umbrüche wie auch der Nachhaltigkeit älterer Fernsehstrukturen offen: Einige Praktiker*innen positionierten sich etwa auf Seiten der neuen, onlinebasierten Streaminganbieter, andere argumentierten, dass sich „dieses gediegene, alte deutsche Fernsehen“ (so die Drehbuchautorin Annette Hess im Interview) immer noch halte, und betonten die Bedeutung der historisch gewachsenen Strukturen, wie etwa der Sendeplätze oder kontinuierlich ausgestrahlter und daher finanziell einträglicher ‚Brot-und-Butter-Serien‘ wie Großstadtrevier (D 1986–, ARD / NDR). Auch der Fernsehfilm und die mit ihm zusammenhängende hybride Reihe erweisen sich hierzulande sowohl für viele Fernsehschaffende und ihre Arbeitsweisen als auch für das Publikum und seine Präferenzen immer noch als einflussreich und robust. Und doch nimmt Serialität, ohnehin ein Leitkonzept des Fernsehens, einen äußerst wichtigen Stellenwert in den derzeitigen Transformationen ein. Bei Produktionen für die insbesondere für jüngere Adressat*innengruppen relevante Onlinedistribution wird nämlich vor allem auf serielle Formate gesetzt. Speziell bei fiktionalen Serien, die als Qualitätsprogramme gelten oder vermarket werden, ist auch sichtbar, dass etliche neue Auftraggeber und Distributoren zum deutschen Fernsehmarkt hinzugestoßen sind, insbesondere in den miteinander verzahnten Bereichen Pay-TV und Subscription Video on Demand (SVoD). Mit dem Augenmerk auf unterschiedliche Sender, Plattformen und Produktionsunternehmen sowie auf verschiedene Bereiche der Serienproduktion konnte das Projekt aufzeigen, dass es weder die eine Form des ‚deutschen Fernsehens‘ noch eine singuläre Herangehensweise an die deutsche Qualitätsserie gibt. Als entscheidender Unterschied zur US-amerikanischen Fernsehindustrie, wo zuerst von Quality TV gesprochen wurde und auf die sich das Gros akademischer Auseinandersetzungen mit jenen Qualitätsserien bezieht, konnte aber zumindest festgehalten werden, dass die Produktionslandschaft in Deutschland viel stärker durch die öffentlichrechtlichen Sender geprägt ist. Diese stellen immer noch die umtriebigsten und finanzstärksten Auftraggeber dar. Wie die werbefinanzierten Privatsender, die mit ihnen das jahrelang für die Bundesrepublik charakteristische duale Rundfunksystem bildeten, müssen sie sich im Kontext des digitalen Medienumfelds neu orientieren. Diese Umbruchprozesse werden gerade bei Qualitätsserienprojekten sichtbar. Insbesondere in diesem Bereich setzen die etablierten deutschen Programmanbieter stark auf eine Onlinedistribution oder erproben neue Geschäfts- und Finanzierungsmodelle, da die bisherigen unter erheblichen Druck geraten sind. Das Projekt nahm die vervielfältigten Formen der Serienfinanzierung und -distribution genauer in den Blick und berücksichtigte somit, dass sich die Aushandlungen der Praktiker*innen über die Qualitätsserie immer wieder um ökonomische Fragen drehten. Auch das Verhältnis von Produktionsfirmen und den sie beauftragenden Programmanbietern ist erheblich in Bewegung geraten. Bei der Serienfinanzierung und in anderer Hinsicht zeigten sich grundlegende Veränderungen des heterogenen ‚deutschen Fernsehens‘ zudem darin, dass dieses zunehmend transnationale Züge trägt. Das Projekt konnte in diesem Zusammenhang aber auch darlegen, dass das Nationale und Lokale weiterhin bedeutsam sind und mit dem Transnationalen zusammenwirken. Die deutsche Qualitätsserie und die dahinter liegende Branche lassen sich letztlich als glokal, also als gleichermaßen lokal und global, einstufen. Diese Gleichzeitigkeit trat auch zutage, wenn sich die Praktiker*innen mit bereits existenten Fernseh- und Filmtexten befassten. Diese stellten eine zentrale Basis ihres Wissens und ihrer Argumentationen dar und beeinflussten daher indirekt auch Entwicklungs- und Produktionsprozesse anstehender bzw. optionaler (Qualitäts-)Serien. Transnationale und zugleich lokale Dimensionen kennzeichneten auch Produktionskulturen in der Drehbucharbeit, auf die sich das Projekt besonders konzentrierte. Autor*innen richteten sich zunehmend auf die kollaborative Drehbuchentwicklung im Writers’ Room aus und näherten sich in Einzelfällen dem Showrunner an, der Hybridfigur aus Autor*in und Produzent*in als zentraler Führungskraft im Serienherstellungsprozess. Allerdings geschah dies oft nur in Ansätzen und angepasst an hiesige Produktionskulturen und begrenzte ökonomische Mittel, womit auch fortwährende Schwierigkeiten in Qualitätsserienprojekten aus Deutschland sichtbar wurden.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2018): Showrunner und Writers’ Room: Produktionspraktiken der deutschen Serienindustrie. In: montage AV, 27 (2), S. 95-109
Krauß, Florian
(Siehe online unter https://doi.org/10.25969/mediarep/18989) - (2019): “All Is Changing”: Interview with Joachim Kosack on Deutschland83 and Transformations of the German TV Series Industry. In: SERIES. International Journal of TV Serial Narratives, 5 (1), S. 69-74
Krauß, Florian
(Siehe online unter https://doi.org/10.6092/ISSN.2421-454X/9716) - 2020: From ‘Redakteursfernsehen’ to ‘Showrunners’: Commissioning Editors and Changing Project Networks in TV Fiction from Germany. In: Journal of Popular Television, 8 (2), S. 177-194
Krauß, Florian
(Siehe online unter https://doi.org/10.1386/jptv_00017_1) - ‚Qualitätsserien‘ und Produkt- und Prozessinnovationen: Aushandlungen in der deutschen Fernsehbranche. In: Zabel, Christian; Wellbrock, Christian (Hrsg.): Innovation in der Medienproduktion und -distribution: Proceedings der Jahrestagung der Fachgruppe Medienökonomie der DGPUK 2019. Stuttgart. S.137-150
Krauß, Florian
(Siehe online unter https://dx.doi.org/10.21241/ssoar.68103) - (2021): Writers’ Room and Showrunner: Discourses and Practices in the German TV Industry. In Taylor, Stacy / Batty, Craig (Hrsg.): The Palgrave Handbook of Script Development. Cham: Palgrave Macmillan, S. 251-266
Krauß, Florian
(Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-030-82234-7_18) - (2021): Youthification of Television through Online Media: Production Strategies and Narrative Choices in DRUCK/SKAM Germany. In: Critical Studies in Television, 16 (4), S. 412–432
Krauß, Florian; Stock, Moritz
(Siehe online unter https://doi.org/10.1177/17496020211044821)