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Neue religiöse Kulturen im spät- und postsowjetischen Russland: Soziale Netzwerke, Ideologien, Diskurse

Fachliche Zuordnung Ethnologie und Europäische Ethnologie
Allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft; Kulturwissenschaft
Förderung Förderung von 2018 bis 2023
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 389197348
 
Erstellungsjahr 2025

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Forschungsprojekt analysiert erstmals die genealogischen, historischen und sozialen Parameter der New-Age-Kultur in der UdSSR zwischen 1960 und 1990 und im postsowjetischen Russland. Das Ziel bestand darin, primäres Material zu erschließen und auszuwerten, sowie eine theoretische Diskussion darüber anzustoßen, wie das russische New Age als Teil der neuen religiösen Kultur aus der Sicht verschiedener Disziplinen konzeptualisiert werden kann. Neben der Analyse von New-Age Milieus, Netzwerken und Diskursen wurden auch parawissenschaftliche Doktrinen sowie die Rolle von New-Age-Ideen und -Praktiken bei der Entstehung nationalistischer Ideologien und okkultistischer Verschwörungstheorien im spät- und postsowjetischen Russland untersucht. Die unter dem Begriff New Age zusammengefassten Formen neuer religiöser Kultur im spät- und postsowjetischen Russland sind Teil einer globalen Entwicklung im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert. Das Konzept tauchte erstmals in den 1990er Jahren auf, zunächst positiv konnotiert, dann aber negativ umgewertet, was bis heute anhält und sich als Selbstbezeichnung in Russland nicht durchgesetzt hat. Zu den charakteristischen Merkmalen der New- Age-Kultur gehört das „ganzheitliche (holistische) Prinzip“, das die Integrität des Universums, die wechselseitige Bedingtheit aller darin ablaufenden Prozesse und die unauflösliche Verbindung zwischen Mensch und Universum, Mikrokosmos und Makrokosmos, impliziert, die in „naturwissenschaftlichen“ Begriffen insbesondere als Wirkung von ‚Energien‘ und ‚Feldern‘ beschrieben wird. Zu den Schlüsselaspekten der New-Age-Epistemologie gehört eine gewisse Art von Szientismus, die Verwendung rationalen Wissens und (para-) wissenschaftlicher Diskurse, um religiöse Metaphern, narrative Modelle und Praktiken zu legitimieren. In der spätsowjetischen Gesellschaft erwuchsen aus diesen Zielsetzungen verschiedene paradoxe Kooperationen mit (para-)wissenschaftlichen Akteuren und Institutionen. Ideologisch verbunden waren sie durch den gemeinsamen Rekurs auf die frühsowjetische Utopie der Schaffung eines neuen Menschen. Zwar gab es eine parallele Entwicklung und gegenseitige Beeinflussung in den USA, der UdSSR und Europa seit den 1970er Jahren, insbesondere durch die vom kalifornischen Esalen-Institut initiierten Interaktionen der so genannten New-Age ‚Bürgerdiplomatie‘. Dennoch ist das russische New Age kein ‚Kulturimport‘ aus dem Westen, sondern ein eigenständiges Phänomen mit Wurzeln im spätsowjetischen intellektuellen Untergrund. Ideologisch zielte es, ähnlich wie im Westen, auf eine substanzielle moralische Wiedergeburt der menschlichen Individualität durch Selbstverbesserung und das Erreichen grundlegend neuer „harmonischer“ Qualitäten sozialer Beziehungen ab. Während das westliche New Age jedoch meist auf liberale Ideale rekurriert, sich als universell versteht und auf ein grundsätzlich feminines Zeitalter verweist, drückt es in Russland eher konservative Werte aus und tendiert zum sozialen Eskapismus. Man rekurrierte auf eigene mystisch-esoterische Traditionen (Agni Yoga, Daniil Andreev’s Rose of the World, Mystischer Anrchismus von Nalimov, spätere lokale Theosophie- und George Gurdjieff-Gruppen, astrologische Schulen und esoterische Instituten), darunter auch auf solche der offiziellen Religionen, zurück. Im Westen war das New Age der 1960er und 1970er Jahre eine Form des sozialen und kulturellen Protests und gleichzeitig eine Art eschatologische Bewegung. In den Ländern des Sowjetblocks war es eher eine technokratische Utopie, aber auch eine Art Protestideologie gegen den Funktionalismus des repressiven Staatssystems.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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