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Historie der Transparenz Sichtbarmachung von Politik in Deutschland und Frankreich 1890-1990

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2018 bis 2022
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 390185045
 
Erstellungsjahr 2022

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Projekt ist eines der ersten, welches Transparenz in historischer Perspektive empirisch gesättigt untersuchte. Es behandelte die Genese und den Bedeutungszuwachs des Konzepts der „Transparenz“ in Deutschland zwischen dem Kaiserreich und der späten Bonner Republik. Die empirische Grundlage bildeten erstens parlamentarische Untersuchungsausschüsse, die in einer Längsschnittstudie zwischen 1873 und 1973 betrachtet wurden, sowie zweitens der Flick-Skandal als Fallstudie (in dessen Zusammenhang ebenfalls Untersuchungsausschüsse eine Rolle spielten). Zu den übergreifenden Ergebnissen gehört die Erkenntnis, dass Transparenzierungspraktiken und -ansprüche (im Sinne der Zugänglichkeit von Informationen über politische Entscheidungen) seit dem Kaiserreich wahrnehmbar sind, allerdings zunächst gering ausgeprägt und insbesondere noch nicht unter der Vokabel „Transparenz“. Von Beginn an hatte Transparenz stets auch die Funktion, Korruption und Vorteilsnahme zu bekämpfen. Derartige Ansprüche wurden zunächst hauptsächlich von Parlamentariern als Mittel der Kontrolle von Regierung und Verwaltung angemeldet. Auch wenn die Presse sich diesen Ansprüchen anschloss, wird damit die in der Forschung verbreitete (und vor allem auf die Geschichte der USA bezogene) These abgeschwächt, dass Transparenzierungsdruck hauptsächlich von Journalisten ausging. Noch zaghaft in den 1970ern, und dann mit großer Verve in den 1980er Jahren entwickelte sich Transparenz als zentrale politische Forderung, die kaum noch kritisierbar war. Dies stellt eine bis heute wirkende Zeitenwende dar insofern, als transparenzkritische Argumente (Persönlichkeitsschutz, Geheimhaltung von Verwaltungsdokumenten, Gewaltentrennung bei zeitgleichen strafrechtlichen Ermittlungen etc.) bis zu diesem Zeitpunkt großes Gewicht besaßen. Allerdings gab es auch im späten 20. Jahrhundert noch Debatten über die Grenzen von Transparenz. An der Ausweitung (oder Einschränkung) von Transparenzierungsmöglichkeiten lässt sich zudem die relative Macht des Parlaments gegenüber der Exekutive, aber auch gegenüber anderen Akteuren ablesen. Im frühen bis mittleren 20. Jahrhundert ging die Machtausdehnung der Parlamente mit zunehmenden Transparenzpraktiken einher. Die Flick-Affäre zeigte, wie es neuen Akteuren mit einerseits linksalternativen, andererseits neoliberalen Grundsätzen gelang, das Parlament und die etablierten Parteien in eine Art Transparenz-Defensive zu drängen. Damit wurde eine neue Form politischer Auseinandersetzung und eine neue Form von Parteienkritik begründet. Auf methodischer Ebene ist deutlich geworden, dass Transparenz als analytische Kategorie nur sinnvoll verwendet werden kann, wenn man zahlreiche Unterkategorien bildet (z.B. Ergebnistransparenz, Verfahrenstransparenz und viele weitere). Beide Arbeiten stützen empirisch zentrale Annahmen der „kritischen“ Transparenzforschung, die vor allem in den Sozialwissenschaften beheimatet ist. Das Projekt hat insbesondere gezeigt, dass Transparenzbemühungen in der Regel nicht Vertrauen schaffen, sondern einen Ausdruck von Misstrauen darstellen. Es hat deutlich werden lassen, dass der Parlamentarismus mit Transparenzforderungen zwar gestärkt oder modernisierend transformiert, aber ebenso auch unterminiert werden kann. Normativ gesehen kann Transparenz daher nicht ohne Kontextualisierung als positiv bewertet werden – sie birgt auch erhebliche Gefahren für ein politisches System.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Alles nur gekauft? Korruption in der Bundesrepublik seit 1949, Darmstadt 2019
    Engels, Jens Ivo
  • La nueva historia de la corrupción. Algunas reflexiones sobre la historiografía de la corrupción política en los siglos XIX y XX, en: Ayer. Revista de Historia Contemporánea 115 (2019), pp. 23-49 (Übersetzung: Ingrid Würsig Cáceres)
    Engels, Jens Ivo
    (Siehe online unter https://doi.org/10.55509/ayer/115-2019-02)
  • History of Transparency in Politics and Society, Göttingen 2020
    Engels, Jens Ivo; Monier, Frédéric (eds.)
  • L'argent immoral et les profiteurs de guerre à l'époque contemporaine (1870-1945), Bruxelles et al. 2020
    Dard, Olivier; Engels, Jens Ivo; Monier, Frédéric (dir.)
    (Siehe online unter https://doi.org/10.3726/b17585)
  • Kleine Geschichte der Korruption, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 19/20 (2021), S. 4-9
    Engels, Jens Ivo
 
 

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