Vom Lauf der Sterne und Gang der Uhren. Astronomie und Präzisionsuhrmacherei in Deutschland um 1800
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt untersuchte die Herausbildung des Konzepts der Präzisionsuhr. Seit dem 18. Jahrhundert wurden Wissenschaften und verwandte Disziplinen zunehmend durch Ideen der Quantifizierung beeinflusst: aus der ‘Welt des Ungefähr’ wurde das ‘Universum der Präzision’ (Koyré). Trotzdem die Astronomie als eine ‘der ältesten exakten Wissenschaften’ (Heilbron) seit Jahrtausenden auf mathematische Methoden zurückgreift, erlebte auch sie seit dem späten 17. Jahrhundert, mit der Gründung der Observatorien in Paris und Greenwich, die Entstehung einer neuen Kultur der Präzision. Diese Kultur wurde maßgeblich durch neu entwickelte Instrumente befördert, zu denen insbesondere auch die Pendeluhr gehörte. Die Sekundärliteratur hat sich bislang nahezu ausschließlich auf die Darstellung ihrer technologischen Entwicklung konzentriert, während die Praktiken der Uhrennutzung, insbesondere auch in der Astronomie, weitgehend unbeachtet blieb. Diese Lücke wurde durch das Projekt geschlossen. Durch die Untersuchung der mit den Uhren verbundenen Praktiken ihrer Handhabung, Pflege und Kontrolle konnte das Projekt die Entstehung eines Konzepts der Präzision nachvollziehen, das deutlich von verwandten Begriffen wie etwa dem der Genauigkeit unterschieden war. Neben der Analyse einer Vielzahl historischer Quellen, u. a. Beobachtungsjournale und Korrespondenzen, wurde im Projekt eine statistische Methode entwickelt, mit der historische Gangdaten von Uhren ausgewertet wurden. Auf diese Weise konnten Uhren verschiedener Sternwarten miteinander verglichen und zu den jeweils vorhandenen lokalen Gegebenheiten in Relation gesetzt werden. Auf diese Weise wurde deutlich, dass die Epoche durch Experiment und Diversität gekennzeichnet war, sowohl in Bezug auf die verwendete Technik als auch hinsichtlich des Umgangs mit Zeitmessern. Eine Diskussion beider Komponenten entwickelte sich erst im Verlauf des 18. Jahrhunderts, wobei sowohl Uhrmacher als auch Gelehrte bzw. wissenschaftliche Nutzer von Uhren beteiligt waren. Die Standardisierung der Uhrentechnik und der Uhrenpraktiken ist als Ergebnis dieses Diskurses anzusehen. Aus sorgfältigen Einzelbeobachtungen, bei denen Uhren häufig nach ihrer momentanen Genauigkeit, also ihrer Übereinstimmung mit einem Zeitstandard, beurteilt wurden, entwickelten sich festgelegte Beobachtungsabläufe, bei denen die Stabilität des Uhrgangs und damit die Präzision der Uhr in den Vordergrund rückte. Aus der vermeintlich genauen Uhr wurde somit ein Instrument, dessen Fehler bekannt und dessen Leistung vorhersagbar war. Die Präzisionsuhr ist damit mehr als das Ergebnis technischer Weiterentwicklungen, nämlich das Ergebnis eines Zusammenspiels von Technik und Handhabung. Da sowohl Uhrentechnik als auch Uhrenpraktiken während des gesamten 18. Jahrhunderts je nach Ausstattung, Aufgaben und Kenntnissen innerhalb der einzelnen Observatorien differieren, ist die Geschichte der Präzision innerhalb der Astronomie auch als eine Lokalgeschichte zu betrachten, deren Entwicklung die jeweiligen Umstände und Bedingungen spiegelt. Erst durch den Diskurs innerhalb der astronomischen Gemeinschaft kam es gegen Ende des 18. Jahrhunderts zu einer zunehmenden Standardisierung, deren Ergebnis die ‘Präzisionsuhr’ war. Das ihr zugrunde liegende Konzept zielt damit nicht schlicht auf einen bestimmten Instrumententypus, sondern auf eine komplexe Einheit von Objekt und verbundenen Praktiken.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Scientific Instrument Commission, XXXVII Symposium, Rijksmuseum Boerhaave, Leiden, Harlem, Vortrag: “Precision Timepieces for Astronomy: Patterns of Collaboration between Astronomers and Clockmakers in the 19th Century”
Sibylle Gluch
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Koninklijk Eise Eisinga Planetarium, Franeker Workshop: „Understanding Eisinga’s Case: Non Scholarly Practitioners around 1800“ Vortrag: “Urania’s Unassuming Friends: The ‘Paysans’ Christian Gärtner and Johann Georg Palitzsch between Astronomical Pastimes and Serious Science”
Sibylle Gluch
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Mathematisch-Physikalischer Salon, Dresden Workshop: „Promises of Precision – Questioning Precision in ‚Precision’ Instruments“ Vortrag: “Time Troubles: Equation Clocks and Ideas of Precision in early 18th-Century Observatories”
Sibylle Gluch
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Obtaining Quality in Marginal Places: The Clocks and Quadrants of the Clementinum Observatory in Prague in the 18th Century. Revue d'histoire des sciences, Tome 74(1), 85-118.
Gluch, Sibylle
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Scientific Instrument Commission, XL Symposium, Prague (online) Vortrag: “A Matter of Trust and Control: Questioning the Precision of 'Precision Clocks' in 18th-Century Observatories”
Sibylle Gluch & Michael Korey
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Universität Siegen Université de Neuchâtel / Musée International d’Horlogerie, La Chauxde-Fonds Workshop: „Astronomical Observatories and Chronometry: Time, Science and Instruments“, Vortrag: “A Question of Trust: The Performance of Clocks in 18th-Century Observatories”
Sibylle Gluch & Alfred Müller
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Timing the stars: Clocks and complexities of precision in eighteenth-century observatories. History of Science, 62(3), 329-365.
Gluch, Sibylle
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“Astronomical Pursuits of the ‘Common Man’ and the Public Image of Science”, in: Devotees of Science: Cultivating Astronomy, Technical and Natural Knowledge around 1800, ed. Nikolaj Bijleveld, Arjen Dijkstra, Samuel Gessner, Amsterdam: Amsterdam University Press, erscheint 2023.
Sibylle Gluch
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Promises of precision: questioning precision in ‘precision’ instruments. Annals of Science, 81(1-2), 1-9.
Gluch, Sibylle
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Time troubles: clocks and practices of precision in early eighteenth-century observatories. Annals of Science, 81(1-2), 160-188.
Gluch, Sibylle
