Detailseite
Projekt Druckansicht

Haushalt und Tod. Inwertsetzungsprozesse und Identitäten in Baja im späten präkeramischen Neolithikum B (LPPNB) der Südlevante

Fachliche Zuordnung Ägyptische und Vorderasiatische Altertumswissenschaften
Förderung Förderung von 2018 bis 2022
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 393531712
 
Erstellungsjahr 2023

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das DFG Projekt hat grundlegend neue Perspektiven und Einsichten in die Lebens- und Sepulchralwelten vor 9000 Jahren in der südlichen Levante eröffnet. Die Grabungen und sequenzielle Radiokarbondatierung belegen die kontinuierliche Besiedlung bis Mitte des 7. Jt. BCE mit einer intensiven Bautätigkeit. Der neue raumbiographische Ansatz (eventbasierte Analyse) für die Architektur zeigt, dass trotz fortgenutzter Mauern Raumnutzungskonzepte mehrfach, teilweise grundlegend geändert wurden. Diese Erkenntnisse erlaubten auch eine umfassendere Identifizierung und Beschreibung der Feuersteinartefakte des frühen 7. Jt. BCE sowie eine bessere Beurteilung von Kontinuitäten, Entwicklungen und Innovationen vom LPPNB zum FPPNB/PPNC. Diese Beobachtungen widersprechen bisherigen Vorstellungen eines abrupten Zusammenbruchs der „mega-site“ Gesellschaften am Ende des späten PPNB und verdeutlichen, wie wichtig eine regionale Perspektive bei der Untersuchung dieser Transformationsprozesse ist. Die Auswertung der lithischen Funde legt zudem nahe, dass Vermittlung und Aneignung von Gemeinwissen und Alltagstechnologien im häuslichen Milieu zu verorten sind. Die auf haushaltsebene organisierten Gewerke können dabei spezifische Traditionen ausbilden. Die erstmals systematisch durchgeführte Analyse von Schlagfehlern und dem Kernabbau zeigen einen Übergang von einer spezialisierten Feuersteingeräteherstellung mit qualitativ hochwertigen Stücken in speziellen Handwerkstraditionen zu einer verstärkten ad-hoc Herstellung im häuslichen Kontext. Erstmals konnten in Ba`ja auch spezialisierte Werkstätten (bidirektionale Klingentechniken) identifiziert werden. Bisherige Erkenntnisse zur Subsistenzweise konnten bestätigt werden: bei den tierischen Hauptnahrungsquellen dominieren auch in neuen Befunden Schaf und Ziege (80%) gegenüber wenigen Wildtieren. In den sozialen Strukturen zeichnet sich hingegen eine stärkere Differenzierung ab. Die transdisziplinären anthropologischen und archäothanatologischen Untersuchungen deuten auf eine lokale Gemeinschaft hin, die eine starke Bindung zu ihren Toten pflegte. Wie die neuen Grabungen und histotaphonomische Studien zeigen, waren die Bestattungsrituale wesentlich komplexer als bislang vermutet, wobei die „liminale“ Phase, die Übergangsphase in eine andere Existenzform, für ausgewählte Tote mehrphasig war. Sowohl die klare Farbsymbolik, die intentionelle Fragmentierung als auch der Gebrauch von Feuer während der Bestattungsrituale zeugen von starken audio-visuellen und olfaktorischen Eindrücken, die emotional aufgeladene kollektive Erfahrungen schufen. Die physische und psychische Präsenz der Toten wurde somit lange über den Tod hinaus erhalten, was eine starke territoriale und kollektive Identifikation beförderte. Die Grabbauten sowie die Ausstattung der Toten weisen gemeinsame Elemente auf, die aber individuell variieren, so dass zwar nicht von Dogmen, gleichwohl von kollektiven Idealen auszugehen ist. Der individuell gestaltete Schmuck weist auf Distinktion hin und bestätigt die zunehmende soziale Differenzierung, die sich auch in den Gewerken im späten LPPNB abzeichnet und in der nacherdbebenzeitlichen Besiedlungsphase abnimmt. Haushaltspezifische Schmuckelemente konnten bislang nicht identifiziert werden. A-DNA- und Isotopenanalysen legen eine lokale, ortstreue Gemeinschaft nahe. Ein neuartiger theoretischer Angang verschiedener Fachrichtungen (inkl. der Sozialen Neurowissenschaften und Ethologie) erlaubte erstmals eine tiefere Gesamtbetrachtung und Rekonstruktion von Leben und Sterben in einer frühneolithischen Siedlung um 7000 v.Chr., die auch zu den Werte- und Vorstellungswelten der Bewohner vordringen konnte. Es wurden korporative und wenig hierarchisierte Gemeinschaftsstrukturen entdeckt, die die Toten zu einem Teil der Wohnumwelt der Lebenden machten. Magische Praktiken und Rituale spielten eine andere und größere Rolle als heute und dienten besonders der Beendigung und dem Verstecken von Dingen mit sozialer Aufladung, insbesondere von Haushaltsresten. Die anthropologische Auswertung aller Kollektivbestattungen sowie die systematische Herkunftsanalyse insbesondere der exotischen Rohstoffe für Schmuck bleiben ein Desiderat für zukünftige Forschungen. Trotz der umweltspezifischen Problematik wären weitere Verprobungen für Sr-Analysen, insbesondere von Tierzähnen vielversprechend, um möglicherweise Veränderungen im Herdenmanagement feststellen zu können. Das Potential des Fundortes konnte innerhalb des Projektes bei weitem nicht ausgeschöpft werden. Die transdisziplinären Untersuchungen des Haushalt und Tod Projektes können deshalb nur wegweisend einen ersten Anfang darstellen. https://www.arte.tv/de/videos/100813-000-A/das-geheimnisvolle-steinzeit-dorf/ https://antikewelt.de/2021/12/02/9000-jahre-altes-collier-dem-museum-in-petra-uebergegeben/ https://www.pourlascience.fr/sd/archeologie/l-enfant-au-collier-de-ba-ja-19779.php https://www.fu-berlin.de/presse/informationen/fup/2021/fup_21_224-baja-ausgrabung/index.html https://www.tagesspiegel.de/themen/freie-universitaet-berlin/archaeologie-das-tote-maedchen-von-baja/27853032.html https://www.morgenpost.de/berlin/article227165451/Berliner-Archaeologen-auf-den-Spuren-der-Lebenden-und-Toten.html https://www.t-online.de/nachrichten/wissen/geschichte/id_83826152/archaeologie-in-ba-ja-wo-die-lebendigen-mitden-toten-wohnten.html https://www.eurasiareview.com/29112021-9000-year-old-necklace-handed-over-to-museum-in-petra/

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • 2019 Socio-economic changes in flint production and consumption among the PPNB lithic economies of the Greater Petra Region, southern Levant. In: L. Astruc, C. McCartney, F. Briois and V. Kassianidou (eds.), Near Eastern lithic technologies on the move. Proceedings of 8th International Conference on PPN Chipped and Ground Stone Industries of the Near East. Nicosia, November 23rd – 27th 2016. Studies in Mediterranean Archaeology 150: 213-226. Nicosia: Astrom Editions
    Purschwitz C.
  • 2019. Burying power: new insights into incipient leadership in the Late Pre-Pottery Neolithic from an outstanding burial at Ba`ja, southern Jordan. PLoS ONE 14(8): e0221171
    Benz M., Gresky J., Štefanisko D., Alarashi H., Knipper C., Purschwitz C., Bauer J. and Gebel H.G.K.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1371/journal.pone.0221171)
  • 2019. Late Pleistocene human genome suggests a local origin for the first farmers of central Anatolia. Nature Communications 10(1): 1218
    Feldman M., Fernández-Dominguez E., Reynolds L., Baird D., Pearson J., Hershkovitz I., May H., Goring-Morris N., Benz M., Gresky J., et al.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1038/s41467-019-09209-7)
  • 2020 Similar but different – displaying social roles of children in burials. In: H. Alarashi and R.M. Dessì (eds.), The art of human appearance. 40èmes Rencontres internationales d’archéologie et d’histoire de Nice: 93-107. Nice: Éditions APDCA
    Benz M., Gresky J. and Alarashi H.
  • 2022. Skill, learning and knowledge transfer in lithic production as seen from LPPNB/FPPNB Ba‘ja, Southern Levant. In: Y. Nishiaki, O. Maeda and M. Arimura (eds.), Tracking the Neolithic in the Near East. Lithic perspectives on its origins, development and dispersals: 227-248. Leiden: Sidestone Press
    Purschwitz C.
  • 2022. The Baʻja daggers. Type, technology and commodification of a LPPNB burial object. In: Y. Nishiaki, O. Maeda and M. Arimura (eds.), Tracking the Neolithic in the Near East. Lithic perspectives on its origins, development and dispersals: 87-106. Leiden: Sidestone Press
    Gebel H.G.K., Purschwitz C., Štefanisko D. and Benz M.
  • 2022. The thanatological dimensions of the Ba`ja and Basta burials (Southern Transjordanian LPPNB, 7500- 7000 BCE). A novel approach to sepulchral environments. In: D. Ackerfeld and A. Gopher (eds.), Dealing with the dead: studies on burial practices in the Pre-Pottery Neolithic Levant. Studies in Early Near Eastern Production, Subsistence and Environment 23: 265-316. Berlin: ex oriente
    Gebel H.G.K., Benz M. and Bauer J.
 
 

Zusatzinformationen

Textvergrößerung und Kontrastanpassung