Situationales Interesse im Mathematikstudium: Individuelle Bedingungsfaktoren und Stimulation durch wertexplizierende Materialien
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Hohe Abbruchquoten im Mathematikstudium deuten darauf hin, dass viele Studierende das Lernangebot nicht erfolgreich nutzen können. Aktuelle Forschungsansätze, z. B. aus dem Schulunterricht, schreiben dem situationalen Interesse, als Interaktion zwischen Person und Situation, eine wichtige Bedeutung für die erfolgreiche Angebotsnutzung zu. Lernsituationen in einem Mathematikstudium, in dem Mathematik als beweisende Disziplin zentral ist, unterscheiden sich jedoch vom Schulunterricht, in dem Mathematik als Anwendungsdisziplin unterrichtet wird, substantiell. Das Projektziel war es, bisherige Erkenntnisse aus dem Schulunterricht zur Bedeutung von situationalem Interesse auf Lernsituationen in einem Mathematikstudium zu erweitern. Konkret wurden die folgenden Fragen fokussiert: (1) Welche Personenmerkmale bedingen das situationale Interesse und wie hängen weitere Merkmale zum Situationserleben mit dem situationalen Interesse zusammen? (2) Inwiefern beeinflusst das situationale Interesse Lernhandlungen und deren Ergebnisse? Diese Fragen wurden in zwei empirischen Studien zu zwei unterschiedlichen Lernsituationen bearbeitet. Die erste, längsschnittliche Studie fokussiert die Lernsituation „Vorlesungsbesuch“. In vier Vorlesungen gaben 181 Studierende zu jeweils drei Zeiten ihr situationales Interesse an. In einer zweiten, experimentell angelegten Studie zur Lernsituation „Aufgaben“ bewerteten 149 Studierende die Bearbeitung vorgelegter, mathematischer Aufgaben. Zusätzlich wurde in dieser zweiten Studie die Frage untersucht, (3) inwiefern wertexplizierende Materialien (im Vergleich zu Materialien ohne Wertexplizierung) das situationale Interesse von Lehramtsstudierenden in Mathematik stimulieren. Diese wertexplizierenden Materialien sind Aufgaben, die einen Bezug zwischen Schul- und Hochschulmathematik explizieren, was für Lehramtsstudierende aufgrund ihres späteren Berufslebens als relevant angesehen werden kann. Die Ergebnisse beider Studien zeigen, (1) dass das situationale Interesse in beiden Lernsituationen stark vom individuellen Interesse an Hochschulmathematik abhängig ist, Lehramtsstudierende ein geringeres situationales Interesse als Fachstudierende berichten und situationales Interesse eng mit dem Erleben von Autonomie und Kompetenz zusammenhängt. (2) Je interessierter Studierende an der Lernsituation sind, desto mehr strengen sie sich in Vorlesungen und bei der Bearbeitung von Aufgaben an, desto eher bearbeiten sie die Aufgabe richtig und desto zufriedener sind sie mit ihrem Studium. Erstaunlich ist, dass das situationale Interesse nur wenig mit der Anstrengungsbereitschaft zusammenhängt und auch andere Personenmerkmale, z. B. individuelles Interesse oder schulische Vorleistung, nur wenig aufklären, warum manche Studierende sich mehr anstrengen als andere. (3) Die wertexplizierenden Aufgaben bewerteten die Studierenden als interessanter als die Aufgaben ohne Wertexplizierung, so dass in einer Anschlussstudie durch einen kontinuierlichen Einsatz beider Aufgabentypen die langfristigen Wirkungen von situationalem Interesse untersucht werden könnte. In einer Anschlussstudie kann tiefergehend geklärt werden, warum manche Studierende mehr Anstrengung aufwenden als andere, damit das Lernangebot erfolgreicher nutzen und somit das Mathematikstudium erfolgreicher absolvieren.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2020). Attributionen von Mathematikstudierenden im ersten Semester. In H.-S. Siller, W. Weigel & J. F. Wörler (Hrsg.), Beiträge zum Mathematikunterricht 2020 (S. 737–740). WTM-Verlag
Rach, S.
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(2020). Relations between individual interest, experiences in learning situations and situational interest. In M. Inprasitha, N. Changsri & N. Boonsena (Hrsg.), InterimProceedings of the 44th Conference of the International Group for the Psychology of Mathematics Education (S. 466-474). PME
Rach, S.
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(2021). Stability of task values in a university mathematics course. EARLI-online-conference
Rach, S. & Retelsdorf, J.
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(2022). Aufgaben zur Verknüpfung von Schul- und Hochschulmathematik: Haben derartige Aufgaben Auswirkungen auf das Interesse von Lehramtsstudierenden? In V. Isaev, A. Eichler & F. Loose, Professionsorientierte Fachwissenschaft – Kohärenzstiftende Lerngelegenheiten für das Lehramtsstudium. Springer Verlag
Rach, S.