Entnetzung. Imaginäre, Medientechnologien, Politiken
Soziologische Theorie
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Unser Projekt verband qualitative Fallanalysen mit begrifflicher Arbeit. Da wir Entnetzung als einen paradoxen Prozess fassen, der innerhalb von Netzwerken gegen diese arbeitet, erforderte die Forschungsarbeit, genau diese ebenso instabile wie auch häufig ausgeblendete Dimension zu erfassen. Für die Untersuchung hat sich unsere Orientierung an den drei systematischen Leitaspekten von Imaginären, Politiken und Infrastrukturen bewährt. Im AB1 wurden Imaginäre der Entnetzung in der Belletristik herausgearbeitet. Dazu wurden literaturwissenschaftliche Verfahren der Narrationsanalyse soziologisch erweitert, um auf diese Weise exemplarisch herauszuarbeiten, wie Entnetzung gesellschaftlich vorgestellt wird. Herausgearbeitet werden konnte, wie diese Vorstellungen zwischen utopischer Hoffnung und dystopischer Angst oszillieren. Die Narrationsanalyse erwies sich auch dadurch als hilfreich, da Entnetzung als Bruch mit Kontinuitäten nicht ohne weiteres erzählbar ist – und sich gerade diese Spannung als fruchtbarer Gegenstand erwiesen hat. Die Analyse wurde auf unterschiedliche Topoi konzentriert: „Zurück in die Natur“, „entnetzter Alltag“, „imaginierte Zukünfte“ sowie „Erschöpfung, Scheitern und Widerstand“. Während im AB1 Infrastrukturen als Gegenstände von Erzählungen gefasst wurden (und dabei auch dass narrative 'doing of infrastructures' analysiert werden konnte), widmete sich der AB3 unterschiedlichen Infrastrukturen der Entnetzung aus einer an deren Materialität interessierter Perspektive. Bewährt hat sich hier das methodische Vorgehen der Szenographie, ein theaterwissenschaftliches Konzept, das soziologisch weiterentwickelt wurde und die Grundlage für die Analyse von drei Schauplätzen diente: Funklöchern, Wifi-Jammers und Faradaysche Käfige. Durch die intensive Untersuchung der materiellen Dimension dieser Infrastrukturen konnte deren materiell-semiotisches Funktionieren herausgearbeitet werden. Drei zentrale Logiken der Entnetzung konnten identifiziert werden: Mapping, Abschirmung und Reflektion. Diese drei Konzepte fungierten in einer doppelten Rolle: als Tätigkeit der Infrastrukturen sowie als theoretische Begriffe, mit denen Entnetzungsinfrastrukturen analysiert werden können. So konnte unser Forschungsprogramm, Entnetzung nicht nur als Störung, sondern als positive Praxis zu verstehen, eingelöst und weiterentwickelt werden. In den Arbeiten der beiden Projektleiter wurden die Ergebnisse insbesondere theoretisch und organisationssoziologisch weiterentwickelt. Zentral für das Denken der Paradoxien der Entnetzung war dabei auch die Analyse gegenwärtiger Netzwerkdiskurse und -theorien, deren implizite normativ-politische Dimension herausgearbeitet wurde (im Sinne eines „Netzwerkfiebers“). Durch die Analyse von Netzwerktheorien konnten an deren Rändern fruchtbare theoretische Figuren wie z.B. die Vakuole, der Slack, die Disartikulation, das Arkanum oder die Indifferenz ausgearbeitet werden und in diesem Rahmen eine Kritik am Relationismus formuliert werden. Die Soziologie der Entnetzung hat ein breites Medienecho erfahren (u.a. in der SZ und der FAZ sowie Radiointerviews beim DLF). Interessant war auch das Gespräch mit Unternehmensberatern und Managern von Kommunikationsunternehmen im Rahmen eines Kamingesprächs der "Charta digitale Vernetzung" (https://charta-digitale-vernetzung.de). Angeregt durch unsere Forschungsarbeiten ist nun angedacht, die Charta um Aspekte der Entnetzung zu erweitern.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2021) Soziologie der Entnetzung. Berlin: Suhrkamp
Stäheli, Urs
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(2021) Undoing Networks. Minneapolis: University of Minnesota Press
Karppi, Tero, Stäheli, Urs, Wieghorst, Clara. Zierott, Lea
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(2021) ‘Analogue Nostalgia: Examining Critiques of Social Media’. In: Chia, Aleena, Jorge, Ana, Karppi, Tero (Hg.): Reckoning with Social Media. Lanham: Rowman & Littlefield, S. 207-225
Wieghorst, Clara
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(2022) ‘Staying with the Secret: The Public Sphere in Platform Society’. Theory, Culture & Society, 39(4), 111–127
Beyes, Timon
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(2022). "Anti-Soziale Beziehungen. Figuren der Mimetischen Indifferenz bei Gabriel Tarde und Georg Simmel." Mimesis expanded. Fink. 325-342
Stäheli, Urs