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Sorgebeziehungen von männlichen Jugendlichen in Zeiten der Covid-Pandemie erforschen

Fachliche Zuordnung Empirische Sozialforschung
Förderung Förderung von 2018 bis 2022
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 406701246
 
Erstellungsjahr 2023

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Männer und Männlichkeiten stellten lange Zeit eine Leerstelle in der (feministischen) Care-Forschung dar, erst in der jüngeren Vergangenheit wurde diesem Themenkomplex mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Aufkommende Diskurse wie etwa der zu Caring Masculinities stellen dabei vor allem erwachsene Männer in den Mittelpunkt, männliche Jugendliche wurden in der Care-Forschung hingegen bisher kaum thematisiert. Demgegenüber widmet sich die Männlichkeitsforschung vor allem Phänomenen wie Risikobereitschaft und Wettbewerbsorientierung unter männlichen Jugendlichen, wodurch der Eindruck entsteht, dass Jungen kaum Sorge für sich und andere tragen würden. Um diese verengte Perspektive auf die Lebenswelten männlicher Jugendlicher zu erweitern, wurden zwischen 2019 und 2022 das DFG-Projekt "Fürsorgliche Jungen? Alternative (Forschungs-)Perspektiven auf die Reproduktionskrise" sowie das Folgeprojekt "Sorgebeziehungen von männlichen Jugendlichen in Zeiten der Covid-Pandemie erforschen" durchgeführt. Mit dem Ziel, den Forschungstand zum Zusammenhang von Care, Adoleszenz und Männlichkeit weiterzuentwickeln, wurden in zwei Erhebungswellen 89 qualitative Interviews mit Jungen (13-17 Jahre alt) geführt. Diese wurden in Kombination von Grounded Theory und Tiefenhermeneutik ausgewertet. Durch die explizite Forschungsperspektive auf Fürsorgeorientierungen und -praktiken wurde es möglich, Erfahrungen und Lebensbereiche von männlichen Jugendlichen systematisch in den Blick zu nehmen, die bisher kaum erforscht wurden. Es zeigt sich dabei, dass Care eine bedeutende Rolle im Leben von männlichen Jugendlichen einnimmt und vielseitige Fürsorgepraktiken in unterschiedlichen Lebensbereichen wie etwa in Familie und Freundschaften zu beobachten sind. Die konkrete Ausprägung der Fürsorgeorientierungen ist in den einzelnen Fällen sehr unterschiedlich ausgestaltet und auf unterschiedliche und komplexe Weise mit Männlichkeit verknüpft. Insgesamt zeigt sich, dass die Dimensionen Care, Männlichkeit und Adoleszenz in einem spannungsreichen Verhältnis zueinanderstehen. So konnte etwa festgestellt werden, dass es den befragten Jungen leichter fällt, sich als Care-Giver denn als Care-Receiver zu erzählen, da sich die aktive Position besser mit gesellschaftlichen Vorstellungen von Männlichkeit und jugendlicher Autonomie vereinbaren lässt. Männlichkeitsnormen wurden darüber hinaus als Hindernis für bestimmte Formen der Fürsorge identifiziert, etwa in Form von emotionaler Zuwendung über körperlich-intime Praktiken wie Umarmungen. Gleichzeitig erweisen sich bestimmte Formen der Fürsorge als mit gesellschaftlichen Männlichkeitsnormen vereinbar – entgegen der verbreiteten Annahme des Diskurses zu Caring Masculinities, wonach ausgeprägte Fürsorgeorientierungen mit einem Bruch mit tradierten Männlichkeitsvorstellungen einhergehen würden. Demgegenüber können wir beobachten, dass Fürsorgeorientierungen im Sinne einer Verantwortungsübernahme für andere von manchen Jungen gerade dazu genutzt werden, um eine erwachsene Männlichkeit zu konstruieren. Aufbauend auf diesen Forschungsergebnissen ergibt sich ein Appell an die Männlichkeits- und Care-Forschung, diesem komplexen Verhältnis von Männlichkeit und Care sowie dem Transformationspotenzial fürsorglicher Orientierungen vertiefend nachzugehen. Aus methodischer Perspektive erwies sich die psychoanalytisch informierte Tiefenhermeneutik als äußerst geeignet für die Forschung zu Adoleszenten, da mit der Methode insbesondere auch unbewusste Konflikte aufgedeckt werden können – was gerade für die Phase der Adoleszenz, in der es zu vielen Veränderungen kommt, von Relevanz ist. Auch die Forschung zu erwachsenen Männern könnte durch die Analyse von latenten Konflikten und Verdeckungen an Tiefe gewinnen. Im Forschungsprozess wurde darüber hinaus deutlich, dass (männlichen) Jugendlichen im Alltag Räume zur Selbstthematisierung fehlen. Für Wissenschaft und pädagogische Praxis stellt sich daran anknüpfend die Frage, wie solche Räume gefördert werden können, um Jugendliche in ihrer Identitätsentwicklung und -reflexion zu unterstützen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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