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Vergänglichkeit und Ewigkeit. Konfrontationen und Verschränkungen unterschiedlicher Zeitsemantiken in mittelalterlichen Jenseitsreisen

Fachliche Zuordnung Germanistische Mediävistik (Ältere deutsche Literatur)
Mittelalterliche Geschichte
Förderung Förderung von 2018 bis 2022
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 407041397
 
Zwar ist die Endlichkeit menschlicher Existenz anthropologisch konstant, doch sind die Formen ihrer Wahrnehmung und Bewältigung historisch und kulturell höchst variabel. Die Erfahrung der Irreversibilität des Todes bringt vielfältige soziale Praktiken hervor, welche Vergänglichkeit zu transzendieren suchen. Um sich solchen Phänomenen historisch adäquat anzunähern, muss nach den jeweils wirksamen Deutungsmustern gefragt werden, über die der jeweilige Umgang mit Vergänglichkeit beobachtbar wird. Das Projekt untersucht daher die in der mittelalterlichen Visionsliteratur verhandelten unterschiedlichen Zeitsemantiken von Vergänglichkeit und Ewigkeit. Den Gegenstand bilden lateinische Jenseitsreiseberichte des hohen Mittelalters (12. Jh.) sowie deren spätmittelalterliche deutschsprachige Übertragungen (15. Jh.), die im Verbund mit Texten zur Ars moriendi überliefert sind. Es handelt sich um in ihren Überlieferungen fluide Texte, die in einem Spannungsfeld von Offenbarung, Bericht und Erzählung anzusiedeln sind. Daher erfolgt der Zugriff interdisziplinär und mithilfe von methodischen Instrumentarien der Geschichts- wie der Literaturwissenschaften.Im Zentrum der Analyse stehen jeweils raumzeitliche Prozessierungen, über die in visionär erfahrenen Jenseitsreisen die Vergänglichkeit des Menschen in Bezug auf das Verhältnis von individueller Sterblichkeit und Weltende, von Erlösung und Ewigkeit reflektiert wird. Reise stellt ein hierfür besonders geeignetes Medium dar, da Zeitlichkeit in körperlichem Erleben und räumlicher Praxis konkretisiert und so erst erfahr- bzw. darstellbar wird. Die unterschiedlichen Zeitsemantiken von linear-prozessualer Reise und Heilsgeschichte, Unendlichkeit und individueller Sterblichkeit, ewiger Strafe und Erlösung sind dabei nicht als inkonsistent anzusehen. Vielmehr sollen ihre Konfrontationen daraufhin untersucht werden, welche Sinn- und Bewältigungskonzepte im Umgang mit Vergänglichkeit hier entwickelt werden.Jenseitsreisen stellen vor diesem Problemhorizont wirkmächtige Deutungsangebote für das christliche Mittelalter bereit. In den lateinischen Jenseitsreisetexten seit dem 12. Jahrhundert entwickeln sich spezifische Verschränkungen von Erfahrungszeit, Lebenszeit und der (apokalyptischen wie heilsversprechenden) Erwartung des Kommenden. Über die verhandelten Straf- und Bußvorstellungen bildet sich hier ein spezifisches Verhältnis von Symbolizität und lebensweltlicher Bezüglichkeit aus, das in vielfältigen Überlieferungen stetig erweitert, modifiziert und begrenzt wird. Solche De- und Restabilisierungen entstehen jeweils im Zusammenspiel von Theologie, Kirchenrecht und gelebter Frömmigkeit. Ihre Untersuchung, so das wesentliche Ziel des Projekts, verspricht daher präzise Einsichten in den Umgang mit Vergänglichkeit in denjenigen Gesellschaften und Gruppierungen, die solche Texte aufzeichnen, bearbeiten und verbreiten, sowie in die universalen Transzendie-rungsideen, die das westliche Christentum darüber etabliert.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
 
 

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