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Die ersten Zeugnisse der "Begegnung" zwischen aristotelischer und konfuzianischer Ethik: Historische und hermeneutische Perspektiven

Antragsteller Dr. Henrik Jaeger
Fachliche Zuordnung Geschichte der Philosophie
Asienbezogene Wissenschaften
Förderung Förderung von 2018 bis 2021
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 407689948
 
Erstellungsjahr 2023

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Zielsetzung der Projektarbeit war die (weitgehende) Übersetzung und Analyse der ersten chinesischen Fassung der Nikomachischen Ethik (weiterhin: NE), die unter dem Titel „Westliche Lehre der Selbstkultivierung" (Xiushen xixue; XSHXX) im Jahr 1636 von dem italienischen Jesuiten Alphonso Vagnone (chin.: Gao Yizhi; 1586-1640) veröffentlicht wurde. Nach ca. einem Jahr dieser Arbeit stellte sich heraus, daß das XSHXX, anders als angenommen, nicht die These bestätigen konnte, daß es sich hierbei um ein Zeugnis der „Begegnung" zwischen aristotelischer und konfuzianischer Ethik handelt. Diese These bestimmte zuerst die Zielsetzung der Projektarbeit, die sich jedoch nicht mehr halten ließ, als klar wurde, in welchem Grade sie auf Grund von falschen Erwartungen und falscher Einschätzung der Bedeutung des XSHXX entstanden war. Um der bis dahin geleisteten Arbeit und dem gesamten Projekt einen Sinn zu geben, habe ich erstens nach den Gründen meiner Fehleinschätzung und zweitens nach möglichen fruchtbaren Erkenntnissen/Ergebnissen für weitere/angrenzende Forschungsbereiche aus dieser Fehleinschätzung gesucht. Erst in der Phase dieser Neuorientierung wurde mir die ganze Dimension des pionierhaften Charakters des XSHXX deutlich: Als China-Missionar der „ersten Generation" (ca. 1600-1640 ) hatte Vagnone (außer dem Werk von M. Ricci und wenigen anderen) keine Vorbilder, die für eine „Begegnung" mit der konfuzianischen Ethik notwendig gewesen wäre. Die von Ricci begründete Politik der Akkommodation erforderte von den Missionaren zwar den Erwerb der konfuzianischen Bildung – dies aber allein mit dem Ziel der Christianisierung und der kulturellen Überformung. Ferner wurde deutlich, daß eine Kontextualisierung/Übersetzung selbst heute, nach 400 Jahren, eine zwar zunehmend erforschte, aber immer noch dringende Aufgabe interkulturellen Philosophierens darstellt. Heute wird allerdings zunehmend deutlich, daß diese Aufgabe selbst als philosophische Praxis verstanden werden kann, die grundlegende Einsichten in den Zusammenhang von Sprache und Philosophie ermöglicht. Gerade das Chinesische als radikal andere Sprache (im Vergleich zu den indo-europäischen) erfordert bei der philosophischen Übersetzung Reflexionen über die eigene Sprachprägung. Reding formuliert dies (im Anschluß an A.C. Graham) so, daß er das Klassische Chinesisch als einzige Chance bezeichnet, "ob und wie Sprache und philosophisches Denken zusammenhängen" (Reding). Weiterhin konnte gezeigt werden, daß das XSHXX zwar (bis auf wenige Ausnahmen; vgl. Han lin‘s Duoshu) keinerlei Rezeption unter chinesischen Gelehrten im 17. Jh. erfahren hatte, daß es aber sehr wohl eine hilfreiche „Vorarbeit" für spätere Übersetzungen wurde, wie zum Beispiel für die Libri Classici (enthalten in: Sinensis Imperii libri classici sex, Noël 1711, Jäger 2011) von François Noël, der im Jahr 1700 die konfuzianischen Klassiker mit der Terminologie der Nikomachischen Ethik übersetzt hatte. Deren intensive Rezeption durch Christian Wolff (ab 1712) stellte in der Folge eine weitere Stufe der (anfänglichen) Begegnung der Ethiken dar: Wolff hielt diese Ethik für so tiefgründig und fundiert, daß er in seiner „Rede" zu dem Schluß kam, daß man die Chinesen nicht missionieren müsse, da sie schon auf dem Weg zur „Vollkommenheit" seien. Vor dem Hintergrund dieser folgenden Etappen der Begegnung (in der Frühaufklärung, in der Gegenwart) erschien das XSHXX als eine Pionierarbeit, deren Defizite zu thematisieren in jedem Fall wichtige Erkenntnisse ermöglicht. Diese habe ich unter folgenden Rubriken zusammengefaßt: Ergebnisse der Analyse und Kontextualisierung des XSHXX. - Übersetzungspraxis der Jesuiten im 17. Jh. - Die philosophischen Implikationen der chinesischen Sprache. - Übersetzen als philosophische Praxis. - Die „Begegnung" im Werk von François Noël und Christian Wolff. Unter dem Titel "Der Anfang des langen Wegs der Begegnung von Aristoteles und Konfuzius" habe ich ein Buch verfaßt, in dem, ausgehend von Vagnones Werk, die Geschichte dieser Begegnung dargestellt wird.

 
 

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