Die Gruppe "Das jüngste Elsaß" - Literaturen der Grenze und ihre europäischen Öffnungen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Texte der acht Schriftsteller Otto Flake, Salomon Grumbach, Bernd Isemann, Hans Koch, René Prévôt, René Schickele, Ernst Stadler und Hermann Wendel, die sich 1901 in Straßburg zur Gruppe „Das jüngste Elsaß“ zusammenschlossen, lassen sich in ihren wesentlichen Zügen als eine Literatur der Grenze lesen, für die das Elsass, die Problematik der Grenze zwischen Frankreich und Deutschland und Identitätsfragen von ihren Anfängen bis in die 1960er Jahre den Schreibgrund darstellten. Im Zeichen eines übernationalen Ideals, bis 1914 „geistiges Elsässertum“, nach 1918 „ausgleichendes Europäertum“ genannt, engagierte sie sich vor allem für einen deutsch-französischen Bund sowie für ein vereintes Europa. In beiden Fällen schrieb sie dem Elsass eine zentrale Rolle als Mittler zu, für die es aufgrund seiner kulturellen Komplexität, die sich geschichtlich aus der Grenzlage und der damit verbundenen, dem Ideal nach in die Zukunft weisenden, nationalen Nicht-Identität ergebe, geradezu prädestiniert sei. Die Art und Weise, wie sie an der Grenze Identität problematisierte, Hierarchien und Grenzziehungen aufdeckte und einen geopolitischen Nachteil in einen kulturellen Vorteil umzuschreiben versuchte, zeigt sie als beispielhaftes Paradigma übernationaler europäischer Literatur, die für die Erforschung von Grenzerfahrungen und Lebenswelten an Grenzen, der Gestaltung, Deutung und Relativierung von Grenzen in sich permanent verändernden politischen (nicht zuletzt: Kriegs-)Kontexten wichtige Erkenntnisse liefert. Die ausgewählte Literatur ist nicht nur auf dem Gebiet der elsässischen Literatur als Avantgarde zu bezeichnen: Die in den 1920er Jahren von zahlreichen Intellektuellen geführten Diskussionen um einen deutsch-französischen Ausgleich als Voraussetzung für ein vereintes Europa führte sie bereits ein Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg, wie sie auch schon vor 1914 über Europa als Ausweg aus nationalen Begrenzungen nachdachte. Zu diesem gedanklichen Vorsprung gesellte sich ein von der Grenze sensibilisierter Blick für Asymmetrien: Erschien ihr das Elsass als ein von Preußen kolonisiertes Land, konnte sie – im Unterschied zu den meisten zeitgenössischen Europa-Konzeptionen – auch Europa als kolonisierende Macht wahrnehmen. Europa war für sie ein Schritt auf dem Weg zu einer nach-nationalen Welt, in der das kolonisierte Andere Europas, dem sie das Elsass als Vergleich zur Seite stellte, auf den Schauplatz der Geschichte tritt.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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‘You do not become a European by choice but by necessity’: The Alsace border region and its opening up to Europe in the writings of Otto Flake, René Schickele and Hermann Wendel. Journal of European Studies, 51(3-4), 252-261.
Luckscheiter, Christian
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,,eine Brücke, ein Band zwischen den Völkern“. : Hermann Wendels Vortrag ,,Der Rhein. Deutschlands oder Europas Strom?“ von 1927 und seine (,jüngst-elsässischen‘) Kontexte. Zeitschrift für Germanistik, 33(3), 524-542.
Luckscheiter, Christian
