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Migration, Erinnerung und musikalischer Ausdruck. Musikalische Traditionen des zentralen östlichen Anatoliens in der Türkei, Berlin und Paris.
Antragsteller
Privatdozent Dr. Martin Greve
Fachliche Zuordnung
Musikwissenschaften
Förderung
Förderung von 2020 bis 2023
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 438640316
Das Forschungsprojekt "Migration, Memory and Musical Expression" beschäftigt sich mit musikalischen Traditionen im zentralen östlichen Anatolien und ihren Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte. Jenseits dieses konkreten Zieles ist es angelegt als Pionierstudie zu Musik in Anatolien überhaupt: Zum einen stellt es die Relevanz ethnischer Kategorien für Musik in Frage. Zum anderen verwendet das Projekt erstmals Ansätze historischer Musikethnologie für Volksmusik in Anatolien. In einem ersten Schritt soll ein Überblick über Musiktraditionen männlicher wie weiblicher Musiker gewonnen werden, sowohl in der Region selbst, wie unter Migranten. Das Projekt konzentriert sich auf fünf Fokusregionen: 1) Sivas-Koçgiri; 2) Malatya-Arguvan; 3) Tunceli; 4) nördliches Bingöl; 5) Muş-Varto, Erzurum-Hınıs. In einem zweiten Schritt soll der Frage nachgegangen werden, in welchem Ausmaß ethnische und religiöse Kategorien mit musikalischen Traditionen korrelieren. Identitätsdiskurse und ihre historische Entwicklung während der vergangenen Jahrzehnte soll untersucht werden und in diesem Kontext auch die Folgen historischer Gewalterfahrungen während lokaler Aufstände (Koçgiri 1921, Şey Said 1925, Dersim 1937, Dersim-Bingöl 1994). Lassen sich Folgen dieser Erfahrungen auf Musik nachweisen, etwa eine wachsende Bedeutung von Klageliedern oder Veränderungen innerhalb religiöser Musik? Schließlich sollen die Folgen von Urbanisierung auf musikalische Traditionen, der Aufgabe von Dörfern und der Migration in türkische und europäische Städte untersucht werden, mit Augenmerk auf Istanbul, Berlin und Paris: veränderte Aufführungspraxis, Umstände von Aufführungen, Medialisierung, veränderte musikalische Ausbildung. Während des gesamten Projektes soll ein besonderes Augenmerk auf die veränderten sozialen Rollen von Frauen und ihren Auswirkung auf Musikerinnen gelegt werden: In welchem Ausmaß boten die Urbanisierung, die Migration in türkische und europäische Städte sowie neue politische Diskurse Frauen neue Gelegenheiten Musik zu lernen und aufzuführen? Wichtigste Methodik des Projektes sind multi-sited Feldforschung und halb-strukturierte Interviews, gemeinsam durchzuführen von einem männlichen Musikethnologen und einer weiblichen Anthropologin. Während der Musikethnologe primär Musik und Musikleben untersucht, wird die Anthropologin sich mit der Position von Musikern in sozialen und Identitätsdiskursen beschäftigen. Die Beschreibung von historischen Veränderungen musikalischer Traditionen soll sich vornehmlich auf die Analyse rezenter und historischer Musikaufnahmen stützen. Insgesamt zielt das Projekt darauf, neue Weg für ein historisches Verständnis anatolischer Musik jenseits ethnischer und religiöser Kategorien zu öffnen. Nur in einem solchen historischen Ansatz und gestützt auf musikalische Analysen statt auf Nationalismen könnten sich künftig die Narrative anatolischer Volksmusik mit der Geschichte Osmanisch-Türkischer Kunstmusik miteinander verbinden lassen.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen
