Fichte und die Menschenrechte
Geschichte der Philosophie
Zusammenfassung der Projektergebnisse
In dem Projekt „Fichte und die Menschenrechte“ habe ich Fichtes Theorie der Menschenrechte aus seinem Werk Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre (1796/7) [GNR] im Detail rekonstruiert und Anschlusspunkte an zeitgenössische Menschenrechtsdiskurse aufgezeigt. In der GNR schreibt Fichte von einem „eigentliche[n] Menschenrecht, das den Menschen als Menschen zukommt; die Möglichkeit sich Rechte zu erwerben“ (GA, I.4: 163). Weitere Rechte, die als Menschenrechte in Frage kommen, sind Fichtes zwei „Urrechte“, Rechte, die „im blossen Begriffe der Person liegen“ (GA, I.3: 390) und gleichzeitig ohne Gemeinweisen eine „bloße Fiktion“ (GA, I.3: 404) seien. Diese Konstellation von dem einem Menschenrecht und den Urrechten, interpretiere ich als komplexe Menschenrechtskonzeption: Laut Fichte haben wir ein Menschenrecht darauf, in einem politischen Gemeinwesen zu leben, in dem mindestens die beiden Urrechte gesichert sind. Inhaltlich rekonstruiere ich die beiden Urrechte als Recht auf leibliche Unversehrtheit und als Recht auf hinreichend Eigentum. In Bezug auf das erste Urrecht ist es entscheidend zu verstehen, was Fichte genau mit dem Leib (im Gegensatz zum Körper) meint. Fichte hat im zweiten Hauptstück der GNR den Leib als Medium der Handlungsfreiheit und gewaltloser Interaktion von Personen eingeführt. Genau dieser Leib ist damit auch von dem ersten Urrecht zu schützen, weshalb es sich von einem Recht auf körperliche Unversehrtheit im engeren Sinne oder einem Recht auf bloß physisches Überleben unterscheidet. Zum genauen Verständnis des zweiten Urrechts ist es notwendig, Fichtes Eigentumstheorie zu berücksichtigen. Für Fichte hat man Eigentum an Handlungen und nicht an Objekten. Das Recht auf hinreichend Eigentum ist davon ausgehend ein Recht darauf, in einem arbeitsteilig organisierten Gemeinwesen eine Tätigkeit (Arbeit) auszuüben, mit der man den eigenen Lebensunterhalt bestreiten kann. Als übergeordnetes Ziel beider Urrechte sehe ich die Herstellung und Sicherung eines Verhältnisses „freier Wechselwirkung“ (GA, I.3: 348). Das ist bedeutend, da das Verhältnis der „freien Wechselwirkung” eine weniger anspruchsvolle Relation als ein vollständiges Anerkennungs- oder Rechtsverhältnis bei Fichte ist. Außerdem passt dieses Ziel von Menschenrechten zu der weit verbreiteten Ansicht, sie als Mindeststandards für die Gestaltung von politischen Verhältnissen anzusehen. Das genannte komplexe Menschenrechtsverständnis betont die Perspektive, diese Rechte als Mindestbedingungen für die interne Organisation von politischen Gemeinwesen anzusehen. Insbesondere ausgehend von dem zweiten Urrecht auf hinreichend Eigentum lässt sich aber auch die externe Rolle von Menschenrechten in Fichtes Bild rekonstruieren: Die Funktion Verhältnisse zwischen Staaten und Personen unterschiedlicher Staatsbürgerschaft normativ zu strukturieren. Um die externe Rolle insbesondere des Urrechts auf hinreichend Eigentum zu rekonstruieren, ziehe ich auch Fichtes etwas späteren Text Der geschlossene Handelsstaat (1800) heran. Dabei unterscheide ich zwischen den Dimensionen des Weltbürger- und Völkerrechts sowie wirtschaftlichen Beziehungen. Aus einer zeitgenössischen Perspektive sind vor allem Fichtes besondere Konzeptualisierung von leiblicher Unversehrtheit und Eigentum sowie sein relationales Rechteverständnis von Interesse.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
-
„Von schlechtem Sex zur patriarchalen Ehe? Überlegungen zu Fichtes Geschlechtertheorie in der Grundlage des Naturrechts”, in: prae|faktisch. Ein Philosophieblog.
Esther Lea Neuhann
-
Die Grundlagen der Menschenrechte: moralisch, politisch oder sozial? „Schriftenreihe der Sektion Politische Theorie und Ideengeschichte in der DVPW“, Baden-Baden: Nomos. ISBN: 978-3-7560-0619-9
Esther Lea Neuhann; Johannes Haaf; Luise K. Müller & Markus Wolf
-
Toril Moi's Phenomenological Account of “Woman” and Questions of Trans Inclusivity. Hypatia, 38(2), 251-274.
Neuhann, Esther Lea
