Gegenstandsauffassung, wissenschaftliches Verständnis und gesellschaftliche Selbstverortung im gesellschaftlichen Diskurs der Soziologie
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Studie befasste sich mit dem Gegenstandsverständnis und der gesellschaftlichen Selbstverortung der Gesellschaftstheorie. Dabei wurden Konvergenzen und Konfliktlinien des soziologischen Diskurses heraus gearbeitet. Die beobachtbaren Reflexionen über Ort und Gegenstand des Fachs ließen ein Spannungsverhältnis zwischen Autologie und Ontologie erkennen. Ausgehend vom ersten expliziten Begründungsversuch des Fachs durch Auguste Comte wurde die Geschichte der Soziologie daher unter dem Gesichtspunkt des Umgangs mit dem resultierenden „Autologie/Ontologie-Paradox“ betrachtet. Bezüglich der gesellschaftlichen Selbstverortung der Soziologie konnte ein Changieren zwischen Sozialtechnologie und soziologische Aufklärung festgestellt werden, wobei sich mit der akademischen Etablierung des Fachs der Schwerpunkt in Richtung eines eher sozialtechnologischen Verständnisses der gesellschaftlichen Wirksamkeit verschiebt. Im Zusammenhang mit der Gegenstandsauffassung wurde vor allem das Verhältnis von ideellen und materiellen Gegenstandsaspekten problematisiert. Dieses wurde anschließend mit dem paradigmatischen Gegensatz von Organismus und Mechanismus konfrontiert, der sich wiederum auf die Unterscheidung von methodologischem Holismus und methodologischem Individualismus beziehen ließ. Parallel dazu wurde anhand der systematischen Rekonstruktion konkurrierender Paradigmen eine eigene gesellschaftstheoretische Interpretationslinie entwickelt. Diese begreift „Organisation“ und „Öffentlichkeit“ als zentrale Mechanismen gesellschaftlicher Koordination, die in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis zum funktionalen Differenzierungsmuster der modernen Gesellschaft stehen. Während das Prinzip der Organisation in der Verdichtung gesellschaftlichen Sinns zu Entscheidungen besteht und ihr Koordinationseffekt somit in der Disziplinierung von Handlungszusammenhängen liegt, dient Öffentlichkeit dem kollektiven Abgleich kognitiver Schemata und ermöglicht somit eine Homogenisierung der individuellen Beobachtungsweisen. Organisation wurde daher als institutioneller, Öffentlichkeit als kultureller Mechanismus beschrieben. Bezogen auf gesellschaftliche Funktionssysteme bedeutet dies, dass Institutionen als Formen der routinemäßigen Zuweisung von funktionsspezifischen Sinnselektionen im Kontext praktischer Entscheidungssituationen zu verstehen wären. Kulturen könnten hingegen als hegemoniale Muster der kognitiven Aktualisierung funktionssystemischer Unterscheidungen begriffen werden.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Was können Soziologen von Moral verstehen? Gesellschaftliche Praxisfelder und ihre moralischen Kompetenzerfordernisse, in: Berliner Journal für Soziologie 19, Heft 2/2009, S. 248-267
Michael Beetz
- (2010): The Autology/Ontology Paradox. On Latent Structures of Social Theory, in: Hans Georg Soeffner (Hg): Unsicher Zeiten. Herausforderungen gesellschaftlicher Transformation. Verhandlungen des 34. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Jena 2008, Wiesbaden 2010, CD-ROM
Michael Beetz
- Autologie, Subversion und der Kapitalismus in der Köpfen, in: Karina Becker/Lars Gertenbach/Henning Laux/Tilman Reitz (Hg.): Grenzverschiebungen des Kapitalismus. Umkämpfte Räume und Orte des Widerstands, Frankfurt a. M.: Campus 2010, S. 103-119
Michael Beetz
- Das unliebsame System. Herbert Spencers Werk als Prototyp einer Universaltheorie, in: Zeitschrift für Soziologie 39, Heft 1/2010, S. 22-37
Michael Beetz
- Gesellschaftstheorie zwischen Autologie und Ontologie. Reflexionen über Ort und Gegenstand der Soziologie, Bielefeld: Transcript 2010 (256 S.)
Michael Beetz