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Komplexe Wörter: Produkte des Lexikons oder Bausteine der (Morpho-) Syntax?

Applicant Dr. Heike Baeskow
Subject Area Individual Linguistics, Historical Linguistics
Term from 2007 to 2011
Project identifier Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 47141209
 
Final Report Year 2012

Final Report Abstract

Gegenstand dieses Projekts war ein Vergleich zwischen der in der Tradition Chomskys stehenden Generativen Grammatik und der in unterschiedlichen Ausformungen vorliegenden Neo-Konstruktionsgrammatik (einschließlich der Distributed Morphology) in Bezug auf Wortbildung durch Derivation. In generativ-lexikalistischen Modellen ist das Lexikon der Ort, an dem die phonologischen, grammatischen und semantischen Eigenschaften von Wörtern und Wortbildungselementen spezifiziert werden und Wortbildungsprozesse stattfinden. In neo-konstruktionistischen Ansätzen werden einfache sprachliche Einheiten wie z.B. dog, sink oder green als abstrakte, kategorial unspezifizierte Wurzeln aufgefasst, deren lexikalische Eigenschaften erst durch die Einsetzung in syntaktische Konstruktionen determiniert werden. Das generative Lexikon wird hier durch lexikonähnliche Komponenten (z.B. ein funktionales Lexikon, eine Enzyklopädie) substituiert. Das Ziel des Projekts bestand darin, anhand von repräsentativen Datenmengen des Englischen zu entscheiden, ob komplexe Wörter durch das Zusammenspiel inhärenter lexikalischer Eigenschaften der einzelnen Konstituenten gebildet werden (generativ-lexikalistische Sichtweise) oder als Resultat der Kombination grammatisch nicht spezifizierter Elemente mit funktionalen Einheiten analysierbar sind (neo-konstruktionistische Sichtweise). Damit einher ging die Frage, ob das Lexikon im generativen Sinne verzichtbar ist oder nicht. Im Rahmen des Projekts wurden gravierende Mängel in der Neo-Konstruktionsgrammatik konstatiert, die insbesondere daraus resultieren, dass aufgrund der kategorialen Neutralität von Wurzeln keine Selektionsrestriktionen für Derivationsaffixe formuliert werden können. Da die Formulierung von Kompatibilitätsbeziehungen auf vage Andeutungen in Bezug auf Weltwissen sowie auf ineffiziente syntaktische Mechanismen beschränkt bleibt, ist die Kombination von Affixen mit Basiselementen arbiträr und eine Übergenerierung von Derivaten vorprogrammiert. Da die Derivation durch starke Tendenzen geprägt ist, die zur Vermeidung von Übergenerierung lexikalisch erfasst werden müssen, zeichnete sich bereits in einem frühen Stadium des Projekts die Überlegenheit generativer Wortbildungsmodelle ab. Bemängelt wurde jedoch, dass die generativen Wortbildungsmechanismen und Prinzipien mitunter zu restriktiv sind, um die in der Derivation durchaus zulässigen und vielfach belegten Idiosynkrasien (z.B. green-er, why-ness, Casanova-ish) zu erfassen. Dem in der Neo-Konstruktionsgrammatik angelegten Problem der Übergenerierung von Derivaten stand somit das Problem der allzu straffen Selektionsrestriktionen gegenüber, dessen sich auch andere Vertreter der neueren generativen Wortbildung durchaus bewusst sind. Mit dem Ziel, den eindeutig nachweisbaren Präferenzen von Suffixen für bestimmte Basiselemente einerseits und der relativen Flexibilität bezüglich des In- und Outputs andererseits Rechnung zu tragen, wurde vorgeschlagen, die von Eleanor Rosch und Kollegen erarbeitete Prototypentheorie auf die Wortbildung anzuwenden. Es wird gezeigt, dass die generativen Wortbildungsmechanismen prototypische Vertreter von Derivationsklassen erzeugen (z.B. writer, singer, potter etc. als prototypische Vertreter der -er-Klasse), die als Maßstab für die Bildung neuer Derivate dienen und bewusste Abweichungen von etablierten Derivationsmustern (z.B. wilter “welkende Pflanze”, upper “Antidepressivum”, penny-a-liner “journalist”) sichtbar machen. Der Markiertheitsgrad weniger zentraler bzw. marginaler Repräsentanten von Derivationsklassen wird über Familienähnlichkeit, d.h. über die lexikalischen Merkmale, die diese Repräsentanten mit den prototypischen Vertretern ihrer Klasse teilen, ermittelt. Neben Übergenerierung besteht ein weiteres Problem der Neo- Konstruktionsgrammatik darin, dass Derivationssuffixe entweder als Allomorphe syntaktischer Knoten (z.B. [n, -ness], [n, -ity]) oder als rein funktionale Einheiten klassifiziert werden, die entgegen der seit dem Europäischen Strukturalismus dominierenden Auffassung keine Bedeutung tragen. Eine unerwünschte Konsequenz dieser Sichtweise besteht z.B. darin, dass subtile, suffixinhärente Bedeutungsunterschiede, die zur Herausbildung von Dubletten wie kingdom vs. kingship, motherdom vs. motherhood, sincereness vs. sincerity etc. führen, verborgen bleiben. Im Projekt werden für funktional ähnliche Suffixe Bedeutungskomponenten und Selektionsrestriktionen identifiziert, die in der Neo-Konstruktionsgrammatik nicht vorhersagbar sind. Insgesamt hat das Projekt gezeigt, dass die Neo-Konstruktionsgrammatik in Bezug auf Wortbildung erhebliche Schwächen aufweist und somit zumindest in ihren derzeitigen Ausformungen nicht konkurrenzfähig ist. Da Affixe ebenso wie freie Morpheme eindeutig über inhärente lexikalische Eigenschaften verfügen, ist das Lexikon (im generativen Sinne) als eigenständige, aber mit anderen Modulen der Grammatik interagierende Komponente unverzichtbar.

Publications

  • (2010). “Derivation in Generative Grammar and Neo-Construction Grammar: a critical evaluation and a new proposal”. In: Susan Olsen (Hrsg.), New Impulses in Word Formation. Sonderheft Linguistische Berichte. Hamburg: Helmut Buske Verlag, 21-59
    Baeskow, Heike
  • (2010). “His Lordship’s -ship and the King of Golfdom. Against a purely functional analysis of suffixhood”. Word Structure 3(1): 11-30
    Baeskow, Heike
  • (2011). “-Ness and -ity: Phonological exponents of ‘n’ or nominalizers of different adjectival domains?” Journal of English Linguistics 40(1): 6-40
    Baeskow, Heike
 
 

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