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Mathematikhistorische Spezifika in den Rigischen Rechenbüchern unter besonderer Berücksichtigung der Algebra

Fachliche Zuordnung Mathematik
Förderung Förderung von 2007 bis 2009
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 49680438
 
Erstellungsjahr 2009

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Anders als die anderen bekannten Rechenbücher entstanden die Rigischen stets nur im Auftrag der Stadt. Als Autoren wurden jeweils amtierende „Schulhalter" verpflichtet, wobei einmal auch ein Gemeinschaftswerk von drei Verfassern zugelassen wurde. Ein neues Rechenbuch wurde immer dann in Auftrag gegeben, wenn das alte nicht mehr vorrätig war oder wenn sich zwischenzeitlich das Münz- oder Maßsystem verändert hatte. Dieses wohl einzigartige System hatte über 200 Jahre Bestand, denn es entwickelte sich eine eindrucksvolle Tradition Rigischer Rechenbücher; Mauritius Lange (1601?), Fridericus Wedemeier (1627, 1637, 1647), Ericus Pommergardt (1671), Johann Wolck (1688, 1703), Joachim Andreas Helms mit Henning Gosche und Michael Wegelin (1737), Johann Heinrich Flor (1769, 1792, 1808), Bernhard Johann v. Gizycki, genannt Gisevius (1819). Das Werk von Lange und die ersten beiden Auflagen von Wedemeier sind nicht mehr nachweisbar. Alle anderen Bücher mit den zugehörigen Auflagen standen mir für meine Studien zur Verfügung. Hauptanliegen des Forschungsprojekts war die Erfassung und Analyse der algebraischen Symbolik, Terminologie und Methodik in den Rigischen Rechenbüchern. Algebra tritt darin ausschließlich und unvermittelt bei der Lösung von entsprechenden Aufgaben auf- eine vorbereitende Erklärung algebraischer Terme und Einübung von Termumformungen findet nicht statt. Der unbedarfte Leser musste den Eindruck gewinnen, dass die Algebra eine Art Kunstrechnung sei, deren Beherrschung außerordentliche Fähigkeiten verlange. Überdies ist die Algebra auf die Bücher von Pommergardt, Wolck und Helms et al. beschränkt. Insgesamt sind es etwa 60 Aufgaben, deren algebraische Lösung sich noch an die sog. Deutsche Coss (15./16. Jahrhundert) anlehnt, also einer antiquierten Terminologie und Symbolik verhaftet bleibt. Die moderne Symbolik, die Vieta bereits Ende des 16. Jahrhunderts entwickelt hatte und die im Wesentlichen mit unserer heutigen übereinstimmt, scheint in Riga bis zu Helms' Zeiten noch keine Wurzeln geschlagen zu haben. So ist bedauerlich, dass Flor aus didaktischen Gründen keine algebraischen Aufgaben mehr präsentiert. (Ebenso hält es Gisevius, der das Florsche Buch weiterführt.). Andernfalls hätte man noch den Wechsel der algebraischen Symbolik mit verfolgen kötmen. Auch die nicht-algebraischen Teile der Rigischen Rechenbücher regen zu lohnenden Studien an, vor allem die einer zählebigen Tradition folgenden Aufgaben zur Unterhaltungsmathematik, die Welsche Praktik und die Nettogewichtsberechnung nach mssischer Art. Die Welsche Praktik war eine wenig effektive Methode zur Erleichterung der Dreisatzrechnung, aber derart in Mode gekommen, dass kein Rechenbuchautor auf sie verzichten konnte. Erstaunlicherweise hatte sie auch den Weg zu den Ostseestädten gefunden und wurde von allen Rigaer Autoren (d. h. jahrhundertelang) ausgiebig behandelt. Die russische Nettogewichtsberechnung ist ein mathematisch höchst interessantes Kuriosum, das sonst noch nirgendwo belegt ist. (Ein kleineres Bruttogewicht kann zu einem größeren Nettogewicht führen!) Zusammen mit der antiquierten algebraischen Methode stellt diese Entdeckung wohl die größte Überraschung bei der Analyse der Rigischen Rechenbücher dar.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Kolloquiumsvortrag am Math. Institut der Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz (05.06.2008): Nettogewicht auf Russisch und die absonderlichen Folgen - Eine Miniatur aus dem Rigischen Rechenbuch des Joachim Andreas Helms (1737)
    Stefan Deschauer
  • Zur Algebra in den Rigischen Rechenbüchern. In: Mathematik - Abbild der Wirklichkeit oder Produkt des Geistes? (Tagungsband des IX. Österreichischen Symposions zur Geschichte der Mathematik in Miesenbach 2008, hrsg. v. Ch. Binder), Wien 2008, S. 1-5
    Stefan Deschauer
 
 

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