Detailseite
Projekt Druckansicht

Naturrechtliches und geschichtliches Denken in der deutschen Rechts- und Staatstheorie der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Antragsteller Dr. Jens Eisfeld
Fachliche Zuordnung Grundlagen des Rechts und der Rechtswissenschaft
Förderung Förderung von 2007 bis 2011
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 51523688
 
Erstellungsjahr 2014

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Forschungsprojekt verfolgte ursprünglich die Absicht, die Auseinandersetzung zwischen naturrechtlichem und historischem Denken in der Rechts- und Staatstheorie der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sowohl auf breiter Quellengrundlage als auch unter Berücksichtigung der philosophischen und politiktheoretischen Zusammenhänge zu untersuchen. Von dieser anfänglichen Aufgabenstellung musste jedoch vor allem das Ziel der breiten Quellengrundlage wieder aufgegeben werden, weil ‒ erstens ‒ die Bedeutung der philosophischen Erkenntnistheorie für das Thema unterschätzt wurde: Die Kontroverse zwischen naturrechtlichem und historischem Denken beginnt nicht erst auf der rechts-, staats- und politiktheoretischen Ebene, sondern bereits mit grundlegenden erkenntnistheoretischen Meinungsverschiedenheiten. Zweitens wurde die Fähigkeit der philosophiehistorischen Sekundärliteratur, das Verständnis dieser erkenntnistheoretischen Zusammenhänge zu erleichtern, überschätzt: Das philosophiehistorische Schrifttum verfolgt, von Ausnahmen abgesehen, keine oder zumindest keine ausschließlich historische Fragestellung, sondern macht vielmehr den Versuch, die Philosophiegeschichte für eine moderne Theoriebildung fruchtbar zu machen, wobei die historische und die gegenwartsbezogene Fragestellung häufig untrennbar miteinander vermischt werden. Die ‒ aus geschichtswissenschaftlicher Sicht ‒ negativen Auswirkungen dieses philosophiehistorischen Methodensynkretismus zeigen sich gerade im Kant-Schrifttum, weil die Naturrechtsphilosophie Kants aus Sicht der heute herrschenden Wissenschaftstheorie als völlig unvertretbar erscheint. Das hat nicht nur zur Folge, dass die Rechtsphilosophie Kants entweder ignoriert oder in eine Theorie des positiven Rechts umgebogen wird, sondern führt außerdem zu einer ‒ für den Historiker und Rechtshistoriker zunächst nur schwer durchschaubaren ‒ Uminterpretation der erkenntnis- und erfahrungstheoretischen Grundlagen der Kantischen Naturrechtsphilosophie. Die Bearbeitung des Forschungsprojekts hat es deshalb notwendig gemacht, sich die Zusammenhänge zwischen erkenntnistheoretischer Ebene einerseits und rechts-, staats- und politiktheoretischer Ebene andererseits aus den Quellen selbst zu erarbeiten, was viel Zeit gekostet und im Ergebnis dazu geführt hat, dass sich die Untersuchung auf die Schriften Immanuel Kants und Johann Gottlieb Fichtes beschränken musste. Im Hinblick auf die erkenntnistheoretischen Grundlagen der KantischenNaturrechtsphilosophie zeigte sich vor allem die zentrale Bedeutung der Zweiweltenlehre, also der Überzeugung Kants von der Existenz einer selbständigen bzw. subjektunabhängigen Welt der Dinge an sich. Die Konsequenz der Zweiweltenlehre besteht einerseits in der Kontingenz der Erfahrungswelt, andererseits aber darin, dass sich der Mensch als seinsunabhängiger Erkenntnisstifter in der sittlichen Welt der Dinge an sich seiner selbst bewusst zu werden vermag. Einfacher formuliert: Die Zweiweltenlehre führt aus rechts-, staats- und politiktheoretischer Perspektive dazu, dass der Mensch dazu in der Lage ist, unabhängig von den Vorgaben der empirischen Wirklichkeit (und damit unabhängig vom positiven Recht) ein gültiges Naturrecht erkennen zu können. Demgegenüber schafft Fichte mit seinem materialen oder empirischen Idealismus ‒ der nicht nur für den nachkantischen Idealismus, sondern für zahlreiche Philosophenschulen des 19. und 20. Jahrhunderts prägend werden sollte ‒ die Zweiweltenlehre Kants ab. Das hat zur Folge, dass bei Fichte die gesamte Welt aus dem Ich hervorgeht, so dass die empirische Wirklichkeit (unter Einschluss des positiven Rechts) nicht mehr kontingent, sondern normativ notwendig ist. Fichte verlegt damit die Kantische Welt der Dinge an sich in die empirische Wirklichkeit und schafft so die grundlegende erfahrungstheoretische Voraussetzung für eine Theorie des positiven Rechts. Die Erkenntnis eines seinsunabhängigen Naturrechts ist damit delegitimiert; gültiges Recht kann jetzt nur im Positiven entstehen, also im Staat. Der Staat wird bei Fichte selbst zum Rechtserzeuger, während der Rechtsinhalt nicht mehr vom Individuum, sondern von den Bedürfnissen des Kollektivs her festgelegt wird.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Der Gegensatz von naturrechtlichem und historischem Denken in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts am Beispiel des Geistigen Eigentums, in: Louis Pahlow/Jens Eisfeld (Hrsg.), Grundlagen und Grundfragen des Geistigen Eigentums, Mohr Siebeck: Tübingen 2008, S. 51‒80
    Jens Eisfeld
  • Zur Trennung von Recht und Moral bei Kant, in: Jens Eisfeld/Martin Otto/Louis Pah-low/Michael Zwanzger (Hrsg.), Naturrecht und Staat in der Neuzeit. Diethelm Klippel zum 70. Geburtstag, Mohr Siebeck: Tübingen 2013, S. 313‒347
    Jens Eisfeld
  • Erkenntnis, Rechtserzeugung und Staat bei Kant und Fichte. Habilitationsschrift 2013/2014, Universität Bayreuth
    Jens Eisfeld
 
 

Zusatzinformationen

Textvergrößerung und Kontrastanpassung