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Korruption in der europäischen Moderne. Korruptionskommunikation und "korrupte" Praktiken in Deutschland, Großbritannien und Frankreich im 19. Jahrhundert

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2007 bis 2013
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 52916600
 
Erstellungsjahr 2014

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Korruption als historisches Phänomen hängt eng mit einer Vielzahl von sozialen, politischen und ökonomischen Prozessen zusammen. Daher kann ihre Untersuchung neue Erkenntnisse für mehrere Forschungsfelder liefern. Im Zentrum des Projektes standen zwei fundamentale Entwicklungen der westeuropäischen Moderne zwischen 1780 und 1870: die Bürokratisierung und die Industrialisierung. Um einen länderübergreifenden Bezug herzustellen, wurden zwei Teilstudien zu insgesamt drei westeuropäischen Ländern erstellt (Großbritannien, Frankreich und Deutschland). Dabei hat sich die Unterscheidung zwischen als korrupt kritisierten Praktiken und Korruptionskommunikation als äußerst fruchtbar erwiesen. Sie stellt ein aussichtsreiches Modell für weitere Forschung zur Korruption in historischer Perspektive dar und wurde mittlerweile auch von anderen Forschern übernommen. Übergreifend ließen sich drei wesentliche Charakteristika des Phänomens Korruption für das lange 19. Jahrhundert herausarbeiten: Erstens zeigen beide Studien, dass die beteiligten Akteure stets Korruptionsvorwürfe instrumentalisierten, um eigene Ziele zu erreichen. Dieser Befund gilt für jedes der drei westeuropäischen Länder. Im Unterschied zur Frühen Neuzeit erfolgte Korruptionskritik weniger vor Gerichten, als vielmehr in einer expandierenden Publizistik. Die Kritiker bezogen dadurch gezielt die vergrößerte Öffentlichkeit mit ein. An der Kritik beteiligten sich vor allem politisch aktive Personen aus Parlament und Verwaltung. Zweitens legen beide Studien nahe, dass Korruptionsdebatten die politischen Reformprozesse in Westeuropa ganz wesentlich begleiteten. Mehr noch, sie waren ein wichtiges Instrument, um bestehende oder als krisenanfällig beurteilte Strukturen zu delegitimieren und so Reformen überhaupt erst zu ermöglichen. Dieser Befund gilt zumal für die Verwaltungsreformen während der Sattelzeit, aber auch für die parlamentarischen Bewilligungsverfahren etwa von Eisenbahnstrecken in Großbritannien. Drittens führten die Reformprozesse mittelbar zu neuartigen Korruptionsvorwürfen. Bislang unbekannte Institutionen und neue Akteurskonstellationen bildeten sich heraus, wobei letztere neue Verteilungen von Interessen hervorriefen. In der Folge kam es abermals zur Instrumentalisierung von Korruptionsvorwürfen. Allerdings richteten sich diese Vorwürfe nun jedoch gegen die Institutionen, die aus den zuvor realisierten Reformen hervorgingen. In der Zusammenschau leistete das Projekt einen grundständigen Beitrag dazu, die Genese des „modernen“ Korruptionsverständnisses während des langen 19. Jahrhunderts in Westeuropa besser zu verstehen und die bisher noch kaum in der Wissenschaft wahrgenommene Bedeutung von Korruptionskommunikation für Modernisierungsprozesse herauszuarbeiten. Es steht in Aussicht, dass die Ergebnisse der folgenden Forschungsprojekte diese Erkenntnisse vertiefen und erweitern werden.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Corruption as a Political Issue in Modern Societies: France, Great Britain and the United States in the Long 19th Century; in: Public Voices X/2 (2008), 68-86
    Engels, Jens Ivo
  • Politische Korruption und Modernisierungsprozesse. Thesen zur Signifikanz der Korruptionskommunikation in der westlichen Moderne; in: Grüne, Niels/ Slanička, Simona (Hrsg): Korruption. Historische Annäherungen an eine Grundfigur politischer Kommunikation, Göttingen 2010, 35-54
    Engels, Jens Ivo
  • Einleitung; in: Integration, Legitimation, Korruption. Politische Patronage in Früher Neuzeit und Moderne, Frankfurt a.M. 2011, 7-30
    Engels, Jens Ivo mit Ronald G. Asch und Birgit Emich
  • Eisenbahnlobbyismus in Großbritannien und Frankreich. Verflechtung von Industrie und Staat im 19. Jahrhundert; in: Asch, Ronald G./ Engels, Jens Ivo/ Emich, Birgit (Hrsg.): Integration, Legitimation, Korruption. Politische Patronage in Früher Neuzeit und Moderne, Frankfurt a.M. 2011, 309-326
    Ebhardt, Christian
  • Zur Legitimität von Patronage in Preußens fürstlicher Verwaltung. Das Beispiel der Korruptionskritik des Kriegs- und Domänenrates Joseph Zerboni (1796–1802); in: Asch, Ronald G./ Engels, Jens Ivo/ Emich, Birgit (Hrsg.): Integration, Legitimation, Korruption. Politische Patronage in Früher Neuzeit und Moderne, Frankfurt a.M. 2011, 267-284
    Bernsee, Robert
  • Interplay ofCorruptionandBureaucratisation: The Administrative Reforms in Bavaria under Minister Montgelas (1799-1808); in: Engels, Jens Ivo/ Monier, Frédéric/ Petiteau, Natalie (éds.): La politiquevued’enbas. Élémentsd’histoireeuropéenne (19e-20e siècles), Paris 2012, [149]-168
    Bernsee, Robert
  • Pour une histoire comparée des faveurs et de la corruption; in: Engels, Jens Ivo/ Monier, Frédéric/ Petiteau, Natalie (éds.): La politique vue d’en bas: éléments d’histoire européenne (19e-20e siècles), Paris 2012
    Engels, Jens Ivo mit Frédéric Monier
  • Corruption in German Political Discoursebetween 1780 and 1820: A Categorisation; in: Journal of Modern European History 11 (2013/1), 54-73
    Bernsee, Robert
  • In Search of a Political Office. Railway Directors and Electoral Corruption in Great Britain and France, in: Journal of Modern European History 11 (2013/1), 72-86
    Ebhardt, Christian
  • Continuity of Patronage? Favours and the Reform Movement in France and Germany from 1800 to 1848; in: Dard, Olivier/Engels, Jens Ivo/Monier, Frédéric (éds.): Patronage et corruption politiquesdansl’Europecontemporaine, Paris 2014, [85]-[103]
    Bernsee, Robert mit Jonathan Barbier
 
 

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