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Im Zweifel gegen den Angeklagten? Ankereffekte als Urteilsverzerrungen in der juristischen Urteilsfindung und ihre Korrekturmöglichkeiten

Fachliche Zuordnung Sozialpsychologie und Arbeits- und Organisationspsychologie
Förderung Förderung von 2001 bis 2008
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 5338938
 
Erstellungsjahr 2008

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Ankereffekte, das heißt die Beeinflussung numerischer Urteile unter Unsicherheit durch eine Zahlenvorgabe, sind Urteilsverzerrungen, die unter den verschiedensten Randbedingungen gezeigt werden konnten. Umfangreiche Untersuchungen im juristischen Kontext zum Einfluss von Strafmaßvorgaben der Anklage auf richterliche Urteile belegen die Bedeutsamkeit des Ankereffektes auch für die richterliche Urteilsfindung. Sogar die Verteidigung passt sich der Staatsanwaltsforderung an. Selbst irrelevante Strafmaßvorgaben wie erwürfelte Staatsanwaltsforderungen oder Forderungen von offensichtlich parteiischen Zwischenrufern haben deutlichen Einfluss auf das richterliche Urteil von erfahrenen Juristen. Ein zentrales Ziel des vorliegenden Forschungsprojektes war es, die Prozessannahmen des Modells selektiver Zugänglichkeit am Beispiel des juristischen Anwendungskontextes empirisch weiter abzusichern. Tatsächlich kann im Rahmen einer Kategorisierungsaufgabe die selektive Zugänglichkeit unterschiedlicher Argumente je nach Staatsanwaltsforderung belegt werden: Fordert die Staatsanwaltschaft eine hohe Strafe, so werden belastende Argumente anschließend schneller erkannt als wenn die Staatsanwaltschaft eine niedrige Strafe fordert. Ein weiteres zentrales Ziel des Forschungsprojektes bestand darin, einen noch höheren Anwendungsbezug unserer bisherigen Labordaten für den juristischen Kontext herzustellen und zu sichern. Konkret wurde dies über Aktenanalysen sowie vor Allem durch Untersuchungen zum Einfluss von Argumenten auf den Ankereffekt umgesetzt. Hierbei konnte empirisch belegt werden, dass bereits die Argumentation der Verteidigung durch die Staatsanwaltsforderung im Sinne eines Ankereffektes beeinflusst ist. Des Weiteren scheinen Argumente der Verteidigung unabhängig von ihrer Qualität nicht dem Ankereffet der Staatsanwaltsforderung entgegenwirken zu können. Sogar unplausible Staatsanwaltsforderungen verfehlen ihre Wirkung nicht. Selbst wenn diese von unpassenden Argumenten begleitet werden zeigen sich deutliche Ankereffekte auf richterliche Urteile. Dass auch Staatsanwaltsforderungen erfahrener Juristen zu einem gegebenen Fall erheblich divergieren belegt Studie 2. Der von uns in bisherigen Untersuchungen experimentell demonstrierte Einfluss der Staatsanwaltsforderung auf das richterliche Urteil sowie auch die Verteidigerforderung konnte in realen Gerichtsakten korrelativ wieder gefunden werden. In einer weiteren experimentellen Studie kann gezeigt werden, dass die Verteidigung tatsächlich mildere Urteile erzeugen kann, sofern sie an erster Stelle plädiert. In dazugehörigen Aktenanalysen zu Berufungsverfahren kann ein Einfluss der Plädoyerreihenfolge hingegen nicht eindeutig belegt werden. Hier scheint vor Allem das erstinstanzliche Urteil das zweitinstanzliche Urteil zu bestimmen. Abschließend konnte erstmalig experimentell eine Möglichkeit gezeigt werden, Ankereffekte durch Aufklärung zu korrigieren.

 
 

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