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Wenn sich Staaten nicht an die Regeln halten. Gewollte und ungewollte Verstöße gegen das EU-Gemeinschaftsrecht

Fachliche Zuordnung Politikwissenschaft
Förderung Förderung von 2001 bis 2009
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 5350838
 
Erstellungsjahr 2009

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Dieses Projekt untersucht Bedingungen, unter denen sich Staaten nicht an Recht jenseits des Nationalstaates halten. Es leitet verschiedene Hypothesen zur Erklärung von Regelverstößen aus der Literatur ab und testet sie systematisch für den Bereich des Europäischen Gemeinschaftsrechts. Die Grundlage für die empirische Überprüfung bildet eine Datenbank, die fast 10.000 aktenkundige Verstöße der EU-Mitgliedsstaaten gegen das Gemeinschaftsrecht über die letzten 30 Jahre erfasst. Die große Zahl der Fälle, die nach Politiksektor, Mitgliedsstaat, Rechtsakt sowie Art und Zeitpunkt des Verstoßes variieren, erlaubt zum ersten Mal, im Rahmen einer quantitativen Studie eine Reihe von Erklärungsvariablen gegeneinander zu testen. Wie wirksam sind Sanktionen als Abschreckung von Regelverstößen? Wie sehr ist die Regeleinhaltung von den Kapazitäten der Staaten abhängig? Wie wichtig ist die Legitimität einer Regel für das Maß ihrer Befolgung? Welche Rolle spielen supranationale Institutionen wie die Europäische Kommission oder der Europäische Gerichtshof bei der Um- und Durchsetzung von Gemeinschaftsrecht? Erweisen sich gesellschaftliche Kräfte als Förderer oder Bremser für die Regeleinhaltung? Unsere quantitativen Analysen zeigen, dass die Kombination aus der Macht eines Staates, sich den mit der Einhaltung von EU-Recht verbundenen Kosten zu widersetzen, sowie dessen administrativer Kapazität, die notwendigen Ressourcen zu mobilisieren und bereitzustellen, die größte Erklärungskraft für Häufigkeit und Dauer von Regelverletzungen aufweisen. Politisch mächtige Staaten verletzen EU-Recht häufiger, während die Musterknaben vor allem politisch schwächere Staaten sind, die jedoch eine hohe administrative Kapazität besitzen. Letztere ist jedoch auch für mächtige Staaten relevant; Trotz ähnlicher politischer Macht halten sich Großbritannien und Deutschland häufiger an EU-Recht als Frankreich oder Italien, deren administrative Kapazitäten geringer ausgeprägt sind. Diese Ergebnisse werden durch qualitative Analysen bestätigt. Es werden zwei „Nachzügler" verglichen, die vergleichsweise häufig gegen Europäisches Recht verstoßen, sich aber hinsichtlich einer Reihe von Erklärungsvariablen unterscheiden (Griechenland und Italien) sowie ein Musterschüler und einen Nachzügler, also zwei Ländern, die Europäisches Recht unterschiedlich stark verletzen, sich aber hinsichtlich vieler Erklärungsvariablen ähneln (Großbritannien und Frankreich). Für den Vergleich werden zwei unterschiedliche EU-Regelungen im Bereich der Umweltpolitik, die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie und die Trinkwasser-Richtlinie, herangezogen. Die vergleichenden Fallstudien verweisen zusätzlich auf die Bedeutung privater und zivilgesellschaftlicher Akteure bei der Einhaltung von EU-Recht sowie auf die Rolle des Übereinstimmungsgrades der vorherigen nationalen Gesetze mit dem neuen zu implementierendem EU-Recht. Sie spezifizieren und erweitern somit den quantitativ gefundenen Interaktionseffekt zwischen Macht und Kapazität wie folgt: Verletzungen von EU-Recht treten desto häufiger auf, a) je höher die Kosten der Regeleinhaltung aufgrund mangelnder Übereinstimmung von nationalem und europäischem Recht sind und b) je weniger dem Mitgliedstaat die zur Implementation notwendigen Ressourcen in Form von Finanzen, Personal oder Koordinationsmechanismen zur Verfügung stehen sowie c) je weniger der Mitgliedstaat die notwendige Autonomie hat, sich innerstaatlichen institutionellen, parteilichen oder faktischen Vetospielern zu widersetzen, die aufgrund der hohen Kosten gegen die Regeleinhaltung mobilisieren oder d) je eher er die notwendige politische Macht besitzt, sich trotz steigenden Drucks der EU-Institutionen den Kosten der Regeleinhaltung zu widersetzen. Sowohl quantitative als auch qualitative Studien verweisen zudem darauf, dass einmal verletzte Regeln vor allem dann wieder eingehalten werden, wenn entsprechende finanzielle oder personelle Ressourcen bereitgestellt oder administrative Koordinationsmechanismen zur Mobilisierung von Ressourcen optimiert werden. Letztlich spielen jedoch regelspezifische Variablen wie der Präzisionsgrad und die Komplexität eine bedeutende Rolle bei der Regelverletzung durch die EU- Mitgliedstaaten.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2003) Einhaltung von Recht jenseits des Nationalstaates. Zur Implementationslogik marktkorrigierender Regelungen in der EU. In Zeitschrift für Internationale Beziehungen 10, 2, 247-290
    Börzel, Tanja A., Tobias Hofmann und Carina Sprungk
  • (2003) Guarding the Treaty: The Compliance Strategies of the European Commission. In: Tanja A. Börzel and Rachel Cichowski (eds.), The State of the European Union VI: Law, Politics, and Society. Oxford: Oxford University Press, 197-220
    Börzel, Tanja A.
  • (2003) Shaping and Taking EU Policies: Member State Responses to Europeanization. Queen's Papers on Europeanization. Belfast: Queen's University
    Börzel, Tanja A.
  • (2006) Participation Through Law Enforcement. The Case of the European Union, Comparative Political Studies, 39, 1, 128-52
    Börzel, Tanja A.
  • (2007) How policy-shaping might (not) affect policy-taking: national parliaments in the decision-making and transposition of EU directives. Dissertation, Freie Universität Berlin
    Sprungk, Carina
  • (2007) Recalcitrance, Inefficiency and Support for European Integration. Why Member States Do (Not) Comply with European Law, CES Working Paper, Harvard University, 151
    Börzel, Tanja A., Meike Dudziak, Tobias Hofmann, Diana Panke and Carina Sprungk
  • (2007) The European Court of Justice as an Agent of Europeanization. Inducing Compliance with EU Law, Journal of European Public Policy, 14, 6, 847-66
    Panke, Diana
  • (2007) Verrechtlichung auf dem Prüfstand. Zur variablen Wirkung von Rechtsdiskursen und Gerichtsurteilen auf die Einhaltung europäischen Rechts. Zeitschrift für Internationale Beziehungen, 14, 4, 298-317
    Panke, Diana
  • (2008) 'Il processo di formazione del diritto comunitario e la sua (non) influenza nella fase di attuazione: il ruolo dei parlamenti nazionali nell'Unione Europea. In: Stefania Baroncelli (ed.), Il ruolo del governo nella formazione e applicazione del diritto dell'Unione Europea. Le peculiarita di un sistema costituzionale multilivello, Torino: Giappichelli: 40-59
    Sprungk, Carina
  • (2009) 'The European Court of Justice as an Instance of High Legalization: What Have We Learned on the Prospects to Foster Compliance with EU Law'. In: Carl Baudenbacher (ed.). International Dispute Settlement. StGallen: University of StGallen
    Panke, Diana
  • Obstinate or Inefficient? Why Member States Do Not Comply with European Law
    Börzel, Tanja A. and Carina Sprungk
  • Compliance. In: Keith Dowding (ed.). Encyclopedia of Power. London Sage
    Börzel, Tanja A.
 
 

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