Bedeutung von Größeneffekten für die Mikro-Blechumformung
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Mit dem allgemeinen Trend der letzten Jahre zur Miniaturisierung von Bauteilen und Baugruppen (z. B. Elektronik, Mikrosystemtechnik) steigt der Bedarf an metallischen Kleinstteilen. Das Tiefziehen bietet die Möglichkeit, Klein- und Kleinstteile mit hoher Wirtschaftlichkeit zu fertigen. Bei geometrischer Skalierung in den Mikrobereich erschweren allerdings spezifische Größeneffekte bei der Prozessauslegung den industriellen Einsatz. Aus dieser Problematik ergab sich als Zielsetzung des Projektes, Methoden zur Beschreibung von Tiefziehprozessen für sehr kleine Komponenten, die die auftretenden Größeneffekte angemessen berücksichtigen, zu entwickeln. Ein weiteres Ziel war die Entwicklung von Methoden zur Auslegung dieser Tiefziehprozesse unter Berücksichtigung der zunehmenden Bedeutung von Material- und Prozessschwankungen auf das Umformergebnis und die Prozesssicherheit. Hierzu wurde ein Tiefziehwerkzeug konzipiert und gebaut, das eine möglichst ähnlichkeitsgerechte Skalierung des Tiefziehens erlaubt. Mit Hilfe dieses Werkzeugs wurden geometrisch ähnlich skalierte Experimente zum Mikrotiefziehen von Näpfchen mit 8 mm bis 1 mm Durchmesser aus Messingfolien für verschiedene Materialzustände und Umformbedingungen durchgeführt. Um den Einfluss der Skalierung und der Stempelgeschwindigkeit auf die sich einstellende Napfgeometrie zu beurteilen, wurde als geometrische Größe der Verlauf der Wandstärke herangezogen. Die Entwicklung der Wandstärke im Boden zeigt, dass die Ausdünnung ausschließlich während der Tiefziehphase auftritt und bei der einsetzenden Abstreckziehphase vollständig abgeschlossen ist. Mit abnehmendem Skalierungsfaktor steigt das Verhältnis von Korngröße zu Blechdicke der Napfgeometrie. Bei der Umformung von Mikrobauteilen mit nur wenigen Körnern über der Foliendicke wird normalerweise eine zunehmende Streuung der Prozessvariablen, z.B. der Umformkraft, beobachtet. Derartige Streuungen konnten bei den analysierten geometrisch skalierten Tiefziehexperimenten nicht beobachtet werden. Ein Basismodell eines Einheitswürfels, der eine unterschiedliche Anzahl von Körnern enthalten kann, wurde eingeführt, um die Bedingungen abzuschätzen, unter denen ein Mikroumformprozess erwartungsgemäß durch die Orientierung einzelner Körner beeinflusst wird. Mit diesem Modell konnte die marginale Kraftstreuung beim Mikrotiefziehen erfolgreich erklärt werden, indem sowohl die Anzahl der Körner als auch die Art und Weise, wie eine Stempelkraft sich aus der Umformung in den verschiedenen Umformzonen ergibt, untersucht wurde. Schlussfolgernd lässt sich sagen, dass die Stempelkraft durch die Größe des Tiefziehteils unter einer Kombination aus Reibung und thermischen Aspekten des Prozesses beeinflusst wird. Dieser Effekt resultiert aus dem Unterschied des Oberflächen-Volumen-Verhältnisses zwischen großen und kleinen Teilen. Diese erfordert unterschiedliche Skalierungsregeln für Dehnrate und Temperatur und ist als Größeneffekt erster Ordnung zu klassifizieren. Die bei sinkendem Skalierungsfaktor ansteigende Oberflächenrauheit bei Mikrostrukturen mit großen Körnern und großem Verhältnis dk/s0 zwischen Körnergröße und Foliendicke, wurde durch eine Kombination aus Gleitbändern an der Oberfläche und dem lokalisierten Einfluss einzelner "harter" orientierter Körner erklärt, da ein individueller Einfluss wegen eines Mangels an Körnern über der Foliendicke nicht ermittelt werden kann. Die erzielten Ergebnisse tragen dazu bei, Mikrotiefziehprozesse modellmäßig zu erfassen und auszulegen. Größeneffekte 1. Art können auf der Grundlage der erarbeiteten Erkenntnisse bereits bei der Prozessplanung berücksichtigt werden. Bei der Berücksichtigung von Größeneffekten 2. Art besteht allerdings Bedarf für eine Beschleunigung der von den Projektpartnern entwickelnden Modelle, sodass diese in einer umformtechnischen Prozesssimulation verwendet werden können. Beim Mikrotiefziehen wurden mikrostrukturbedingte Größeneffekte 2. Art festgestellt. Eine Abschätzung zur Werkstofffestigkeit und zum Streuverhalten erfolgte durch die elementare Betrachtung des Einflusses der Kornorientierung, basierend auf der Theorie der plastischen Verformung von Polykristallen nach Taylor. Dadurch wurde es ermöglicht, abzuschätzen, ab welcher Kornanzahl in einem betrachteten Volumen mit einem zunehmendem Einfluss einzelner Körner zu rechnen ist. Zur Prozessauslegung von Mikrotiefziehprozessen, bei denen die Orientierung einzelner Körner eine Auswirkung auf den Prozess hat, müssten Modelle wie die CP FEM eingesetzt werden, die eine Auflösung der Kornstruktur ermöglichen. Hierbei bleibt anzumerken, dass voraussichtlich erst in den nächsten Jahren mit einem effizienten Einsatz solcher Modelle zu rechnen ist, da die derzeitige Rechnerleistung ihre Verwendung stark begrenzt. Es besteht daher Forschungs- und Entwicklungsbedarf für eine Beschleunigung dieser Modelle. Ferner bleibt zu erforschen, wie die Prozessgrenzen (Dehnungslokalisierung, Faltenbildung) beim Mikrotiefziehen in der Prozesssimulation berücksichtigt bzw. vorhergesagt werden können, insbesondere bei Vorliegen von Größeneffekten 2. Art. In den letzten 10 Jahren ist in allen industriellen Bereichen ein stetig zunehmender Bedarf an Klein- und Kleinstteilen festzustellen, bei dem insbesondere die metallischen Bauteile einen zunehmenden Marktanteil verzeichnen. Die steigende Nachfrage erklärt sich durch das Bestreben zur Miniaturisierung von Bauteilen und Komponenten sowie die Integration weiterer Funktionen in ein bestehendes System. Zu den Einsatzbereichen von Mikroteilen zählen z.B.: • Elektronikindustrie • Medizintechnik • Autoindustrie • Chemische Industrie Um diesen Bedarf zu bedienen, wurden in den vergangenen Jahren meist aufwändige und teure Herstellungsverfahren eingesetzt, die darüber hinaus den Bereich der einsetzbaren Werkstoffe limitieren oder den Einsatz spezifisch angepasster Werkstoffe erfordern. Hier sei als Beispiel das lithographische Ätzen genannt, das insbesondere in der Elektronikindustrie seit Jahrzehnten zur Fertigung kleinster Strukturen verwendet wird. Zu Problemen führen diese Fertigungsverfahren, wenn große Serien metallischer Bauteile kostengünstig und mit hohen Anforderungen an Geometrie und Reproduzierbarkeit gefertigt werden sollen. Solche Bauteile sind insbesondere dann gefragt, wenn für den Einsatz zusätzliche Eigenschaften gefordert werden, wie z.B. Korrosionseigenschaften, Leitfähigkeit oder Festigkeit. Aus dieser Problemstellung leitet sich das zunehmende Interesse an Umformverfahren zur Herstellung miniaturisierter Bauteile ab. Durch den Einsatz der Umformtechnik besteht die Möglichkeit, auch in der Fertigung von miniaturisierten Komponenten die bekannten Vorteile einer kostengünstigen Fertigung von Großserien, einer hohen Genauigkeit und Reproduzierbarkeit und einer endproduktnahen Fertigung zu erreichen. Die im Rahmen des Projektes gewonnenen Erkenntnisse liefern einen Beitrag zur sicheren Auslegung von Mikrotiefziehprozessen unter den Rahmenbedingungen von stark schwankenden Werkstoffeigenschaften. Die Erkenntnisse können daher von potenziellen Anwendern im Bereich der Simulation und Auslegung von Mikrotiefziehprozessen genutzt werden.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Untersuchungen von Größeneffekten für die Mikro-Blechumformung. 1. Kolloquium Prozessskalierung, Bremen, 28./29. Oktober 2003
N. Witulski, H. Justinger, G. Hirt
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“Untersuchungen zum Prägen und Tiefziehen kleinster Strukturen und Bauteile”. 2. Erlanger Workshop „Mikroumformtechnik“, 25. November 2003, Universität Erlangen-Nürnberg
G. Hirt, H. Justinger, B. Rattay, N. Witulski
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"Validation of FEM-simulation for micro deep drawing process modeling". In: Materials Proceedings and Design: Modeling, Simulation and Applications NUMIFORM 2004 (ISBN 0-7354-0188-8; ISSN 0094-243X) (CD-ROM: ISBN 0-7354-0189-6) : Proceedings of the 8th International Conference on Numerical Methods in Industrial Forming Processes, June 13-17, 2004, Columbus/Ohio, USA / Ed.: Ghosh, Somnath; Castro, Jose M.; Lee, June K. Columbus/Ohio, USA : American Institute of Physics (AIP), 712 (2004), 952-957. - (AIP Conference Proceedings; 712)
N. Witulski, H. Justinger, G. Hirt
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“Experimental and Numerical Investigation of Miniaturization in Deep Drawing”. STEEL GRIPS, Journal of Steel and Related Materials 2 (2004), Suppl. Metal Forming, pp. 693-698
G. Hirt, H. Justinger, N. Witulski
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Messtechnik in der Umformtechnik – Die Ergebnisse des Ringversuches der Umformer im Rahmen des SPP 1138 Prozessskalierung, Strahltechnik Band 27, BIAS Verlag, 2005, ISBN: 3-933762-17-0, S. 309-320
L.W. Meyer, N. Herzig, C. Gahlert, K. van Putten, G. Hirt, H. Justinger, M. Korthäuer, M. Henning, J. Braun, A. Hundertmark, S. Geißdörfer, M. Schikorra, Z. Hu, M. Terzi
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“Analysis of cup geometry and temperature conditions in the miniaturized deep drawing process“. Proceedings of the 8th International Conference on Technology of Plasticity, Verona, October 9-13, 2005, (Extended Abstract S. 459-460, Paper auf CD)
H. Justinger, G. Hirt, N. Witulski
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“Erfahrungen beim Mikroumformen von Kupfer und Kupferlegierungen“. Metall; 59. Jahrgang, 11/2005; (2005), S. 706-709
G. Hirt, H. Justinger, M. Thome, K. van Putten
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„Untersuchung zur Napfgeometrie und Temperaturverteilung beim miniaturisierten Tiefziehen“. Prozessskalierung, Strahltechnik Band 27, BIAS Verlag, 2005, ISBN: 3-933762-17-0, S. 71-80
H. Justinger, N. Witulski, G. Hirt
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Größeneffekt bei der Miniaturisierung des Drahtflachwalzens und Tiefziehens von Cu-Werkstoffen“. 22. Aachener Stahlkolloquium, Aachen, 2007, S. 175-188
H. Justinger, K. v. Putten, G. Hirt, R. Kopp
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“Analysis of Size-Effects in the Miniaturized Deep Drawing Process”. Key Engineering Materials Vol. 344 (2007, S. 791-798)
H. Justinger, G. Hirt
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“Size effects in micro deep drawing and rolling of flat wire”. SenaFor2007 Konferenz, Brasilien
K. van Putten, H. Justinger, G. Hirt, O. Hofmann
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”Scaling Effects in the Miniaturization of the Deep Drawing Process“. 2nd ICNFT 2007, Bremen, S. 665-674, ISBN: 978-3-933762-22-1
H. Justinger, G. Hirt
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“Estimation of Grain Size and Grain Orientation Influence in Micro Forming Processes by Taylor Factor Considerations”. Journal of Materials Processing Technology, Volume 2009, Issue 4, Feb. 2009, S. 2111-2121, ISSN 0924-0136
H. Justinger, G. Hirt
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”Experimentelle und numerische Untersuchung von Miniaturisierungseinflüssen bei Umformprozessen am Beispiel Mikro-Tiefziehen“. Aachen (2009), Shaker Verlag, ISBN: 978-3-8322-8152-6, 2009
H. Justinger
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„Bedeutung von Größeneffekten für die Mikro-Blechumformung“. Beiträge zum Abschlusskolloquium des SPP 1138, Bonn, S. 117, ISBN: 978-3-933762-29-0, 2009
G. Hirt, M. Bambach, H. Justinger, K. Zhao