Verbales Behalten als Sprachverarbeitung
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Der Projektbericht bezieht sich auf die letzte von drei Förderperioden eines Projekts, in dessen Verlauf ein Modell des verbalen Arbeitsgedächtnisses entwickelt wurde, das das verbale Behalten als Funktion der Sprachverarbeitung und eines Aufmerksamkeitsmechanismus’ betrachtet. Ziel dieser letzten Projektphase war es, das Modell weiter zu spezifizieren und zu erweitern. Konkret wurden vier grundlegende Projektziele adressiert. Ein erstes Ziel bestand darin, weiteren Aufschluss über die Ursachen und Randbedingungen des Modalitätskongruenzeffekt (weniger Gedächtnisintrusionen, wenn die Präsentationsund die Abrufmodalität übereinstimmen, als wenn die Modalität zwischen Darbietung und Abruf wechselt) zu erhalten. Entsprechende Untersuchungen haben wir anhand des Deese-Roediger-McDermott-Paradigmas und des Intrusionsparadigmas von Potter und Lombardi durchgeführt. Die Ergebnisse belegen die Existenz des Modalitätskongruenzeffekts, zeigen aber auch, dass es sich um ein wenig robustes Phänomen handelt. In einer zweiten Experimentalserie haben wir untersucht, welche Rolle visuelle Repräsentationen beim Behalten schriftlich dargebotener Buchstaben spielen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass visuelle Information nur dann zum verbalen Behalten beiträgt, wenn andere relevante Teilprozesse/Teilsysteme nicht zur Verfügung stehen. Der Schwerpunkt unserer Projektarbeit lag auf der dritten Fragestellung: Während traditionelle Arbeitsgedächtnismodelle Phoneme als die kleinsten Einheiten des verbalen Behaltens betrachten, gehen wir davon aus, dass unterhalb dieser Ebene artikulatorische und akustische Merkmale repräsentiert sind, die den Behaltensprozess erheblich beeinflussen. Konkret haben wir unter Verwendung eines einfachen Listenparadigmas (serial recall von Silben) gezeigt, dass subphonemische Merkmale das Behalten beeinflussen und dass darüber hinaus der phonologische Ähnlichkeitseffekt vor allem auf akustischer Merkmalsüberlappung beruht. Die vierte Zielsetzung des Projekts war die Prüfung der Hypothese, dass die Nutzung von Oberflächeninformationen im unmittelbaren seriellen Recall von Sätzen und Texten durch die Merkmale der Aufgabe moderiert wird. Dabei wurde zum einen eine Aufgabe, die Oberflächeninformation direkt adressiert (verbatim recall), mit einer Aufgabe verglichen, die dies nicht tut (gist recall). Wir konnten zeigen, dass die Nutzung von akustisch-sensorischer und graphemischer/phonemischer Information in unterschiedlicher Weise durch die Aufgabenvariation moderiert wird: Automatisch zur Verfügung gestellte akustisch-sensorische Information wird sowohl bei wörtlichem als auch bei inhaltlichem Behalten genutzt. Phonologische, phonemische und graphemische Information nur bei einer wörtlichen Behaltensanforderung. Diese Überlegungen zur aufgabenspezifischen Nutzung bestimmter Informationsarten wurden auch satzübergreifend untersucht. Hier ging es insbesondere um die Nutzung morphosyntaktischer Information und phonologischer Information. Für morphsyntaktische Informationen entsprechen die Ergebnisse den Erwartungen: Grammatische Genusinformaition wird länger aufrecht erhalten als grammatische Numerusinformation, da ersteere im Deutschen anaphorisch genutzt wird, letztere nicht. Entgegen unserer Erwartungen sprechen die bisherigen Befunde jedoch auch für eine längerfristige Verfügbarkeit phonologischer Information. Insgesamt unterstützen unsere Ergebnisse die Konzeption des verbalen Arbeitsgedächtnisses als ein sprachbasiertes System, das – mittels Aufmerksamkeitszuwendung – strategisch und aufgabenspezifisch genutzt wird.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2009). A modality congruency effect in verbal false memory. European Journal of Cognitive Psychology, 21, 473-483
Rummer, R., Schweppe, J. & Martin, R. C.
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(2009). Beyond sentence boundaries: Grammatical gender information in short-term recall of texts. Memory & Cognition, 37, 73-80
Schweppe, J., Rummer, R. & Fürstenberg, A.
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(2010). Prozessbasierte Ansätze in der aktuellen Arbeitsgedächtnisforschung. Sonderheft, Psychologische Rundschau, 61
Fiebach, C. & Rummer, R.
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(2010). Working memory interference during processing texts and pictures: Implications for the explanation of the modality effect. Applied Cognitive Psychology, 24, 164-176
Rummer, R., Schweppe, J., Fürstenberg, A., Seufert, T. & Brünken, R.
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(2011). What models of verbal working memory can learn from phonological theory: Decomposing the phonological similarity effect. Journal of Memory and Language, 64, 256-269
Schweppe, J., Grice, M. & Rummer, R.