"Juden und Christen im `Buch der Frommen` (Sefer Hasidim)" - Edition, Übersetzung und Kommentierung ausgewählter Texte zur Geschichte der Juden und der jüdisch-christlichen Beziehungen im mittelalterlichen Deutschland
Evangelische Theologie
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die mystisch-ethisch orientierte Bewegung der Haside Ashkenaz {der "Deutschen Frommen") bildet neben philosophisch und kabbalistisch orientierten Gruppierungen eine der wichtigsten Strömungen des mittelalterlichen Judentums. Eine der zentralen Persönlichkeiten dieser Bewegung, Rabbi Jehuda he-Hasid, stellte vermutlich Ende des 12. / Anfang des 13. Jahrhunderts eine umfangreiche hebräische Textsammlung von Geboten und Verboten, Rechtsentscheidungen, kurzen Erzählungen und Anleitungen zu einer als ideal erachteten frommen Lebensführung zusammen, die unter dem Titel "Buch der Frommen" (Sefer Hasidim, im folgenden SH) bekannt ist und als eines der bedeutendsten Werke des mittelalterlichen deutschen Judentums gilt. Diese Texte waren in erster Linie als Anleitung für eine ideale jüdische Lebensweise gedacht, spiegeln jedoch immer wieder auch das Alltagsleben der jüdischen Gemeinden im Rheinland und ihrer Umgebung wider. Im Zentrum des Projektes standen dabei jene Texte, die über die gesellschaftlichen, kulturellen und persönlichen Kontakte zwischen Juden und Christen Auskunft geben können. Da neben den beiden bisher edierten Textzeugen des Buches im Rahmen des Projektes weitere Handschriften ausgewertet werden konnten, die SH oder Teile daraus enthalten, wurde für alle relevanten Abschnitte zunächst eine neue, heutigen Standards genügende Textgrundlage in Form einer zweispaltigen hebräischen Synopse mit kritischem Apparat geschaffen. Diese Editionsform trägt der Überlieferungsgeschichte des Werkes Rechnung. Sie folgt den beiden Hauptrezensionen, in denen das Werk vorliegt und die sich vor allem in der Anordnung, aber auch im Umfang des inkorporierten Materials unterscheiden. Auch die Übersetzung aller Abschnitte ins Deutsche berücksichtigt alle inhaltlich relevanten Lesarten und bietet damit einem breiten Publikum eine verläßliche Arbeitsgrundlage. Erläuterungen zu den nicht immer leicht verständlichen Texten und Informationen sowie zu deren philologisch-historischen Kontexten geben die Kommentare zu den einzelnen Abschnitten. Die Texte des SH sind vermutlich zunächst entsprechend ihrer Thematik zu Heften zusammengefaßt worden, bevor sie zu einem Buch zusammengestellt wurden. Im Verlauf des Projektes erwies es sich als sehr nützlich, die Einzeltexte in diesem ihrem ursprünglichen Kontext zu behandeln. Unter den noch in den vorliegenden Fassungen erkennbaren ehemaligen Heften waren für das Projekt jene zu den Schwerpunkten "Konversion", "Märtyrertum", "Alltagsleben" und "Handel" von Interesse. Bei der Analyse dieser Themen wurde deutlich, daß sich zunächst immer wieder scheinbare Widersprüche zwischen verschiedenen Texten des SH im Hinblick auf das Verhältnis von Juden und Christen ergeben. Neben Texten, die eine offen ablehnende bis feindliche Haltung allem Christlichen gegenüber zum Ausdruck bringen, stehen solche, in denen davon gesprochen wird, daß man einen Christen mit derselben Ehrlichkeit und demselben Respekt behandeln soll wie einen Juden. Dieser Widerspruch läßt sich lösen, wenn man beachtet, daß sich die Ressentiments des SH nicht auf den Christen als (Mit)menschen, sondern ganz konkret auf die Kirche als Institution und auf deren offiziellen Vertreter beziehen - immer wieder sind es die Priester und Mönche, die Gebäude und Ritualgegenstände der Kirche, die strikte Ablehnung in SH erfahren. Christen in ihrer Eigenschaft als nichtjüdische Menschen hingegen werden als Partner angesehen, die zu achten sind. Damit kann das oft beschworene Bild von der erbitterten Feindschaft zwischen Juden und Christen doch erheblich korrigiert werden. Eine weiteres wichtiges Ergebnis besteht in der Erkenntnis, daß die Beziehungen zwischen Juden und Christen nicht zwangsläufig das Resultat der direkten Einwirkung einer der beiden Gemeinschaften auf die andere sein müssen. Oft waren sie vielmehr Teil gemeinsamer Vorstellungswelten von Juden und Christen im Mittelalter, innerhalb derer sich Veränderungen für beide Seiten gleichzeitig vollzogen.