Leitfaden zur Bewertung der Tragfähigkeit von Steineisendecken - verfeinerte Bemessungsalgorithmen, Planungs- und Arbeitswerkzeuge für die Praxis
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Im frühen 20. Jahrhundert prägten Steineisendecken als einfach zu erstellende, leichte und wirtschaftliche Lösungen maßgeblich den Stockwerksbau; gerade auch für Skeletttragwerke erlangten sie weltweit Bedeutung. An Vielfalt und Verbreitung übertrafen sie deutlich die zeitgleich entwickelten Betondecken. Heute sind sie häufig Gegenstand aktueller Sanierungs- und Umnutzungsaufgaben. Dem planenden Ingenieur, der Tragverhalten und Tragfähigkeit der historischen Decken zu bewerten hat, standen bislang lediglich wenige Überblicksdarstellungen zur Verfügung, die nicht viel mehr als erste Einblicke in die Vielzahl der Steineisendecken sowie die Ansätze und Probleme ihrer zeitgenössischen Bemessung gaben. Dieser Kenntnisstand ermöglichte allenfalls Näherungs-Einschätzungen des realen Tragvermögens der historischen Decken; in der Regel kamen für die Nach-Bemessung die aktuelle DIN 1045-1(2001) oder aber das historische n-Verfahren zur Anwendung. Eine verlässliche Bewertung, die sowohl den Eigenschaften und Besonderheiten der historischen Bauweise als auch heutigen Ansätzen und Sicherheitskonzepten Rechnung trägt, war auf dieser Grundlage nicht möglich. Der Stahlbetonbemessung entlehnte Bemessungsverfahren vermögen ebenso wie historische Methoden das Tragverhalten des Drei-Komponenten-Verbundes aus Stahl, Ziegel und Beton nur unzureichend abzubilden. Gerade in Hinblick auf die vielfach beobachteten Tragreserven historischer Steineisendecken wurden (und werden) alternativ Nachweisführungen über Belastungsversuche vor Ort praktiziert. Für die jeweils geprüften Deckenfelder vermögen diese die realen Tragpotenziale in der Regel gut aufzudecken, bei guter Vorbereitung lassen sich die Ergebnisse auch auf andere Decken des Gebäudes übertragen, doch im Vergleich zur Rechnung sind die Versuche recht teuer und kommen deshalb nur begrenzt zur Anwendung. Vor diesem Hintergrund wurde an der BTU Cottbus ein zweiphasiges Projekt zu Steineisendecken entwickelt und gefördert. Das erste Teilprojekt „Historisch konstruktive Entwicklung und Typologie der Steineisendecken (...)“ war vornehmlich historischen Fragen gewidmet gewesen. Im Mittelpunkt hatten die Erforschung der historischkonstruktiven Entwicklung der Steineisendecken im Deutschen Reich bis 1925, die Erarbeitung einer Typologie für diese Decken sowie die Analyse der zeitgenössischen Bemessungsformen gestanden. Im Mittelpunkt des Folgeprojektes stand nun die Aufgabe, unter Nutzung der Erkenntnisse der historischen Untersuchung verbesserte Planungswerkzeuge für die statischkonstruktive Bewertung historischer Steineisendecken im Bestand zu entwickeln. Besonderes Augenmerk lag dabei auf dem Problem der tatsächlichen Tragfähigkeit der Decken und ihrer möglichst realitätsnahen Bemessung. Die wesentlichen Ergebnisse lassen sich in vier Punkten zusammenfassen: - Analysen der charakteristischen statisch-konstruktiven Eigenschaften, der möglichen Mängel und der in Abhängigkeit vom Baujahr bei Überschreitung der Tragfähigkeit zu erwartenden Versagensformen für alle zwischen 1892 und 1925 im Deutschen Reich verbreiteten Deckensysteme sowie die Aufbereitung der Ergebnisse in Übersichten - Der Vorschlag eines realitätsnäheren Bemessungsalgorithmus’ für die Nachbemessung historischer Steineisendecken. Nach umfangreichen Vergleichsstudien wurde als Grundlage dafür die TGL 33 405/01 von 1980 gewählt. Sie hatte sich als bestgeeignet zur Berücksichtigung der Bemessungsrandbedingungen erwiesen, bot die Möglichkeit zur Einführung und Steuerung zusätzlicher Bemessungsparameter (wie möglicher Auflagereinspannungen oder Gewölbetragwirkungen), und führte im Ergebnis zu einer relativ realitätsnahen Abbildung der tatsächlichen (höheren) Auslastungsmöglichkeiten. - Eine Arbeitsanweisung für die konstruktive Bestandsaufnahme der historischen Steineisendecken vor Ort, die der unbedingt erforderlichen genauen Befundaufnahme zur Bestimmung präziser Eingangswerte für den verfeinerten Bemessungsalgorithmus Rechnung trägt. Sie benennt die geeigneten Untersuchungsmethoden, vor allem aber enthält sie eine Liste aller aufzunehmenden Kenngrößen und zu überprüfenden Parameter. - Und schließlich die unterstützende Datenbank DHS („Datenbank Historische Steineisendecken“) www.steineisendecken.de, in der die 27 bedeutendsten der insgesamt 71 untersuchten deutschen Deckensysteme Eingang fanden. DHS führt den Planer rasch zur Identifikation „seiner“ Decke und gibt ihm konkrete Hinweise für deren konstruktive Bewertung. Neben allen wesentlichen Daten aus dem Patent oder Gebrauchsmuster finden sich zu jeder Decke Angaben zu den gebräuchlichen Ziegel-, Bewehrungs- und Mörtelarten, zur maximalen Spannweite, den spezifischen Charakteristika sowie den herstellungs- und konstruktionsbedingten Mangelpotenzialen. Der für die Nachbemessung entwickelte Bemessungsvorschlag konnte bislang nur an einer begrenzten Anzahl systematisch beobachteter Belastungsversuche kalibriert werden. Wünschenswert wäre eine breitere statistische Absicherung durch Bruchversuche an Bestandsdecken, die zuvor einer sorgfältigen konstruktiven Bestandsaufnahme gemäß den oben genannten Vorschlägen unterzogen worden sein sollten. Derartige vertiefende Untersuchungen könnten insbesondere die Effekte von Einspannwirkungen im Auflagerbereich sowie Gewölbetragwirkungen genauer fassen, deren Tragreserven im Bemessungsvorschlag vermutlich bei Weitem noch nicht ausgeschöpft sind. Ergänzend sollte der entwickelte Bemessungsvorschlag in diesem Zusammenhang in systematischen Vergleichsstudien mit den eher pauschal angelegten Vorschlägen für die Nachbemessung historischer Steineisendecken verglichen werden, die nach Abschluss des Projektes im März 2009 als Ergebnis einer Karlsruher Dissertation publiziert worden sind. Grundsätzlich wünschenswert wäre zudem eine Aufweitung der Untersuchungen in das internationale Umfeld; bislang sind – etwa im europäischen Raum - noch nicht einmal die für Deutschland im Teilprojekt 1 erarbeiteten Grundlagenuntersuchungen zu Entwicklung und Typologie geleistet worden. Unabhängig davon steht bereits jetzt mit der Datenbank DHS ein nützliches Instrument für die praktische Identifikation, Erfassung und Bewertung historischer deutscher Steineisendecken bereit. Sie bildet die Grundlage für eine verlässliche Anwendung des demnächst publizierten Bemessungsvorschlags und damit einen ersten Schritt zur wirklichkeitsnäheren Erfassung des realen Tragpotenzials im Rahmen des rechnerischen Tragfähigkeitsnachweises.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Innovation durch Konkurrenz – Steineisendecken. Vortrag im Rahmen der Tagung „Häuser aus Beton“ an der Fakultät Bauwesen der Universität Dortmund, 11.-12.10. 2001; In: Hassler, U.; Schmidt, H. (2004)
Fischer, M.
- Innovation durch Konkurrenz. Steineisendecken. In: Hassler, U.; Schmidt, H. (Hg.): Häuser aus Beton. Vom Stampfbeton zum Großtafelbau. Tübingen, Berlin 2004, S.170-177
Fischer, M.
- Steineisendecken im Deutschen Reich 1892-1925. Dissertation an der Fakultät Architektur, Bauingenieurwesen und Stadtplanung der BTU Cottbus. Dissertation, 2008
Fischer, M.
- Early Reinforced Brick Floors in Germany: Historical Development, Construction Types, Dimensioning and Load Bearing Capacity. Vortrag im Rahmen des Third International Congress on Construction History, Cottbus, 20.-24. Mai 2009, Cottbus. Publiziert in: Kurrer, K.-E.; Lorenz, W.; Wetzk, V. (Hg.): Proceedings of the Third International Congress on Construction History, Cottbus, May 2009, S. 587-594
Fischer, M.; Lorenz, W.