Antworten auf die Bewährungsfrage werden mit Geschlechtervergleich auf aktuelle Formen der Sinnerfüllung im Spektrum von Beruf, Familie und Gemeinwohl hin untersucht
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Frage nach dem Sinn des Lebens wird immer weniger nach Geschlecht differenziert beantwortet. Diesen Schluss lässt die sequenzanalytische Rekonstruktion von Interviews mit Männern und Frauen im Alter zwischen 20 und 40 Jahren zu. Das betrifft vor allem den hohen Anspruch an eine selbstbestimmte Lebensführung und den herausragenden Stellenwert der beruflichen Bewährung in der Selbstdeutung eines erfüllten Lebens. Von einem Schwinden der Leistungsethik kann daher nicht die Rede sein, wohl aber von ihren vielfältigen Ausdrucksformen. Sie weisen geschlechtsunabhängig umso stärker eine Sachbindung auf je entwickelter das Autonomiepotential des Individuums ist. Dieser Befund unterstreicht die Bedeutung einer gelingenden Sozialisation nicht nur für die Selbstverwirklichung innerhalb und außerhalb der Erwerbsarbeit, sondern auch für die Leistungsmotivation und - fähigkeit. Die schwindende Relevanz des Geschlechts für die Ausrichtung der Lebensführung an beruflichem Erfolg hat allerdings Konsequenzen, die die gesellschaftliche Reproduktion gefährden und nach wie vor besonders Frauen in biografische Konflikte führen. Die Dominanz der Wertschätzung der Erwerbsarbeitsleistung, wie sie auch in der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Familienpolitik bekräftigt wird, missinterpretiert nicht nur den Bürger als Rollenträger und verkürzt Sozialität auf eine Vergesellschaftung von Werktätigen. Sondern sie zeitigt auch die beklagten Folgen einer steigenden Kinderlosigkeit, einer Beharrlichkeit geschlechtsspezifischer Aufgabenverteilungen sowie einer Beschränkung der biografischen Gestaltungsspielräume für die angestrebte Selbstverwirklichung des Subjekts. Ein überraschender Befund ist, dass sich eine Befreiung von Existenz- und Erwerbsarbeitsdruck als günstig erweisen könnte, die gegenwärtig gebundene Zeit, Leistungsbereitschaft und Kreativität freizusetzen für eine sachhaltige Leistungshergabe ebenso wie für die Übernahme von Fürsorge und gemeinwohlbezogenem Engagement. Denn die Gemeinwohlbindung zeigte sich als erstaunlich stark selbst in solchen Fällen, in denen etwa der Normenwiderspruch zwischen einer leistungsethischen Bewährung und der Fürsorge als v.a. mütterliche Aufgabe oder der Widerspruch zwischen dem Arbeitsethos und dem faktischen Fehlen von Arbeitsmöglichkeiten zu Frustration führte. Gesellschaftliche Integration, so zeigen die rekonstruierten Deutungsmuster, findet über Beiträge statt, die insofern als sinnvoll erlebt werden, als sie wertgeschätzte Problemlösungen darstellen, Bedeutung für das Gemeinwesen besitzen und möglichst authentisch den Ausdrucksformen des Selbst folgen. Günstige Bedingungen für die Freisetzung dieser Handlungsbereitschaft zu schaffen, wäre eine politische Gestaltungsaufgabe, die nur im Rahmen einer neuen, freiheitlichen Kultur der Bewährung zu lösen ist.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- 2005 Ute Luise Fischer: "Cultural Roots of the Economic Crisis in Germany and its Consequences Regarding to Gendered Realities". Vortragsmanuskript, International Conference "Changing Gender: Research, Theory and Policy for Gendered Realities of the 21st Century", June 2-3, 2005, Panteion University Athens, Greece. (Siehe online unter: www.genderpanteion.gr )
- 2006 Fischer, Ute Luise: Die Differenz zwischen epistemologischem Vor-Urteil und praktischem Vorurteil als Scheideweg. Ein konstitutionstheoretischer Zugang zur Geschlechterforschung. In: Aulenbacher, Brigitte/Bereswill, Mechthild/Löw, Martina/Meuser, Michael/Mordt, Gabriele/Schäfer, Reinhild/ Scholz, Sylka (Hg.), FrauenMännerGeschlechterforschung. State of the Art. Forum Frauen- und Geschlechterforschung Band 20, Münster: Westfälisches Dampfboot, S. 194-204
- 2006 Fischer, Ute Luise: Entkopplung von Arbeit und Einkommen ¿ Emanzipierende Konsequenzen eines bedingungslosen Grundeinkommens. In: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis: Frauen, denkt ökonomisch!? Heft 68, S. 71-81
- 2006 Fischer, Ute Luise: Partnerschaft und Familie unter Bedingungen der aktuellen gesellschaftlichen Krise. In: Reuter, Julia/Wolf, Katja (Hg.): GeschlechterLeben im Wandel. Reihe Frauen/Genderforschung, Tübingen: Stauffenberg- Verlag, S. 213-229
- 2006 Fischer, Ute Luise: Scheitern und Werden. Fallrekonstruktionen als Untersuchungsmethode in der Biographieforschung gezeigt am Beispiel von Differenzlinien in der biographischen Bewährung. In: Soziale Ungleichheit - kulturelle Unterschiede. Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München 2004. Frankfurt: Campus Verlag, S. 1591-1600