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Selbstzeugnisse innerchristlicher Konversionen aus dem Heiligen Römischen Reich und den Niederlanden im 17. und 18. Jahrhundert (Teilbereich II: Konversion, Furcht, Gewalt)

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2004 bis 2012
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 5470710
 
Erstellungsjahr 2011

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das vorliegende Projekt untersuchte Selbstzeugnisse innerchristlicher Konversionen aus dem 17. und 18. Jahrhundert im Hinblick darauf, welche Informationen diese Quellen über das Personkonzept der jeweiligen Autor(inn)en und dessen eventuelle Veränderung durch den Konfessionswechsel bieten. Mit dem Heiligen Römischen Reich und den Niederlanden wurden dabei zwei Untersuchungsgebiete gewählt, die in unterschiedlicher Weise von konfessioneller Pluralität geprägt waren. Die Quellenrecherche und –beschaffung gestaltete sich weitaus zeitaufwendiger und mühsamer als angenommen, da bisher weder für den deutschsprachigen noch für den niederländischen Raum eine Bibliographie existiert, die modernen wissenschaftlichen Ansprüchen genügt. Das Quellenkorpus ist durch ein quantitatives Ungleichgewicht zwischen deutschen und niederländischen Quellen geprägt, da sich für den Untersuchungszeitraum deutlich weniger niederländische Konversionsberichte ausfindig machen ließen als erwartet. Die Auswertung der Quellen führte zu der Erkenntnis, dass die Konversionserzählungen vor allem bezüglich der Gestaltung des Textes und der Autorenrolle so vielfältig sind, dass man ihnen nur in detaillierten Einzelfallanalysen gerecht werden kann. Die verbreitete Forschungsmeinung, dass frühneuzeitliche Konversionserzählungen aufgrund ihrer Stereotypie nicht als Selbstzeugnisse lesbar seien, erweist sich damit als unhaltbar. Angesichts dieser Quellenlage sind die im Rahmen des Projektes entstandenen exemplarischen Einzelfallstudien daher als Grundlagenforschung zu betrachten, die die Basis legen, um einen größeren Quellenbestand vergleichend auswerten zu können. Die Ergebnisse dieser Forschungen sind überwiegend bereits online in einer digitalen Quellenedition (http://www.geschkult.fu-berlin.de/e/konversionen) oder in gedruckten Publikationen zugänglich. Eine unmittelbare Anwendbarkeit der Forschungsergebnisse ist zum einen dadurch gegeben, dass die digitale Quellenedition in der universitären Lehre einsetzbar ist, zum anderen könnten die Resultate der Quellenrecherchen als Grundlage einer umfassenden, digital durchsuchbaren Bibliographie frühneuzeitlicher Konversionserzählungen dienen. Die meisten Konversionsberichte wurden von Männern verfasst, die zum Zeitpunkt des Konfessionswechsels ledig waren, nach eigener Aussage überwiegend aus höheren sozialen Schichten stammten und eine sorgfältige Schul- und meist auch Universitätsausbildung genossen hatten. Eine zentrale Gemeinsamkeit der Quellen ist ihr apologetischer Charakter, der vor allem bei Mehrfachkonversionen besonders ausgeprägt ist; zudem lassen viele Konversionserzählungen ein Bedürfnis nach Rechtfertigung und Verpflichtung des Autors vor sich selbst und vor Gott erkennen. Die Personkonzepte der Konvertiten waren in hohem Maße von verschiedenen, häufig konfligierenden inner- und überweltlichen Zugehörigkeiten geprägt, die die Autoren differenziert wahrnahmen und durch die adressatenspezifische Gestaltung ihrer Konversionserzählungen zu steuern suchten. Diese Pluralität von Zugehörigkeiten lässt erkennen, dass die Konversion nicht in jedem Falle einen völligen Bruch mit allen früheren Beziehungskonstellationen bedeuten musste, sondern dass es durchaus auch Kontinuitäten gab. Zugleich führt das Nebeneinander mehrerer Adressaten mit unterschiedlichen oder gar gegensätzlichen Erwartungshaltungen dazu, dass die Konvertiten im Verlauf ihrer Konversionserzählungen verschiedene Komponenten ihres Personkonzepts akzentuieren, wobei z. T. auch Spannungen oder Brüche erkennbar werden, etwa zwischen dem Bemühen um neue soziale Bezüge und der Betonung der eigenen Weltabgewandtheit und Jenseitsorientierung. Konfessionsspezifische Unterschiede werden erwartungsgemäß vor allem auf der Ebene der theologischen erkennbar, während im Hinblick auf die Metaphorik und die Argumentationsstrategien die konfessions- und länderübergreifenden Gemeinsamkeiten überwiegen, wie z. B. die Verwendung von Schwarz-Weiß-Kontrasten zur Charakterisierung der beiden Konfessionen bzw. der Lebensphasen vor und nach der Konversion oder aber die Darstellung des Glaubenswechsels als Rückkehr zu einem bereits in der Kindheit angelegten, gottgewollten Lebensplan. Im letzten Drittel des Untersuchungszeitraums wird sowohl in den deutschen wie auch in den niederländischen Quellen ein Einfluss aufklärerischen Gedankenguts sichtbar, der die Bedeutung der Konfessionszugehörigkeit für das Personkonzept der Autoren relativiert. Für den deutschsprachigen Raum erweist sich der Westfälische Friede jedoch nicht als klare Zäsur, sondern es ist sowohl vor dem Dreißigjährigen Krieg wie auch währenddessen und danach ein Nebeneinander von scharfer konfessioneller Polemik und Stellungnahmen in moderaterem Tonfall zu erkennen. Die Ansichten der jüngeren Forschung bezüglich der Variabilität von konfessionellen Grenzen und konfessioneller Identität werden damit durch die Ergebnisse des vorliegenden Projekts bestätigt.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • „Das Ich am Ende des Schreibens?“ – Die Konversionserzählung Malachia Ben-Samuels als Medium der Identitätsbildung (1621), in: Martin Rheinheimer (Hg.): Schriftlichkeit und Identität in der Neuzeit (Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Schleswig-Holsteins, Bd. 38), Neumünster 2004, S. 45-59
    Gesine Carl
  • Liebesheirat oder Glaubenstreue? – Liebesbeziehungen zwischen Juden und Christen im Spiegel von Fanny Lewalds Roman „Jenny“, in: Alexandra Lutz (Hg.): Geschlechterbeziehungen in der Neuzeit. Studien aus dem norddeutschen Raum (Studien zur 52 Wirtschafts- und Sozialgeschichte Schleswig-Holsteins, Bd. 40), Neumünster 2005, S. 123- 136
    Gesine Carl
  • Umwege, Irrwege, Auswege – Erfahrungen des Scheiterns im Prozess der Identitätsfindung bei Christian Salomon Duitsch und Salomon Maimon, in: Sylka Scholz / Stefan Zahlmann (Hg.): Scheitern und Biographie. Die andere Seite moderner Lebensgeschichten, Gießen 2005, S. 145-163
    Gesine Carl
  • Zwischen zwei Welten? – Übertritte von Juden zum Christentum im Spiegel von Konversionserzählungen des 17. und 18. Jahrhunderts, Hannover 2007 (571 S.)
    Gesine Carl
  • „Aus der Verwirrung zu der Ordnung“ – Innerchristliche Konversionen in der Frühen Neuzeit als Grenzüberschreitung und Raumwechsel, in: Andreas Bähr / Peter Burschel / Gabriele Jancke (Hg.): Räume des Selbst. Selbstzeugnisforschung transkulturell (Selbstzeugnisse der Neuzeit, Bd. 19), Köln / Weimar / Wien 2007, S. 219-235
    Gesine Carl
  • Digitale Quellenedition Konversionserzählungen
    Gesine Carl/ Angelika Schaser
  • "Drumb Gönner! gönne mir die Milde deiner Gab'n..." - Die Konversionserzählung Andreas Wangautzkys (1689) als Instrument der Lebenshilfe, in: Digitale Quellenedition Konversionserzählungen, 20.07.2009
    Gesine Carl
  • Catholic – Lutheran – Catholic: Strategies of Justification and Conceptions of the Self in the Conversion Narratives of Johannes Ferdinand Franz Weinberger (1687-90), in: The Medieval History Journal, Vol. 12, 2, July – December 2009, Special Issue: Religious Conversion in Medieval and Early Modern Societies (editors: Monica Juneja / Kim Siebenhüner), S. 327-353
    Gesine Carl
  • Mit dem Wanderstab durch die Wüste - Die Konversionserzählung Johannes Ignatius Wittibars (1701), in: Digitale Quellenedition Konversionserzählungen, 02.12.2009
    Gesine Carl
  • Inclusion et exclusion. La recherche sur les conversions religieuses en Allemagne à l’époque moderne, in: Religion ou confession. Un bilan franco-allemand sur l’époque moderne (XVI e -XVIII e siècles), hg. von Philippe Buttgen und Christophe Duhamelle, Millau 2010, S. 577-594
    Angelika Schaser
  • »Ich beschlos zu fliehen. Aber wohin? das wust ich nicht.« – Konversionen von Juden zum Christentum und Mobilität im 17. und 18. Jahrhundert, in: Henning P. Jürgens / Thomas Weller (Hg.): Religion und Mobilität. Zum Verhältnis von raumbezogener Mobilität und religiöser Identitätsbildung im frühneuzeitlichen Europa (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft 81), Göttingen 2010, S. 337-354
    Gesine Carl
  • Asket, Gelehrter, Hirtenhund – Koexistenz und Konkurrenz von Selbstentwürfen in frühneuzeitlichen Konversionserzählungen, in: Hans Medick / Angelika Schaser / Claudia Ulbrich (Hg.): Selbstzeugnis und Person . Transkulturelle Perspektiven (Selbstzeugnisse der Neuzeit Bd. 20), Köln, Weimar, Wien 2012, 183-199
    Gesine Carl
 
 

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