Die wissenschaftstheoretischen Grundlagen der Poetik in der Frühen Neuzeit
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die wichtigsten neuen Ergebnisse der Arbeit sind, als Thesen formuliert, die folgenden: 1. Die averroische Paraphrase der aristotelischen "Poetik" ist der wichtigste Text für den Begriff der Dichtung in der Frühen Neuzeit. 2. Der konkurrierende, neuplatonische Begriff der Dichtung mit seinem zentralen Konzept des Enthusiasmus konnte sich aus theologischen Gründen nach der Reformation nicht mehr behaupten, sowohl auf protestantischer wie auf katholischer Seite. 3. Der poetische Enthusiasmus wird zu einer "natürlichen" Entrückung des Dichters (durch Alkohol oder durch besonders lebhafte Phantasie) naturalisiert. 4. Dieser Enthusiasmus qua besonders lebhafte Phantasie mündet bereits in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in den Begriff des Genies. 5. Die Rezeption der aristotelischen "Poetik" und ihrer averroischen Paraphrase mündet im 17. Jahrhundert in den Begriff der "Wahrheitsähnlichkeit" oder Gleichnishaftigkeit der Dichtung. Dieser Begriff verhindert eine Aneignung der aristotelischen Begriffe der Wahrscheinlichkeit und der Handlung. 6. Obwohl bereits mit Heinsius und Vossius die wichtigsten Inhalte der aristotelischen "Poetik" erschlossen waren, wird diese erst mit Lessing im deutschsprachigen Raum rezipiert. 7. In der Poetik von Vossius wird der Begriff der Fiktion aus dem aristotelischen Begriff der Wahrscheinlichkeit abgeleitet. Nicht unwesentlich mag schließlich auch sein, daß, unabhängig von diesen konkreten Thesen, durch die Arbeit ein großer Teil der neulateinischen Poetiken der Frühen Neuzeit zum ersten Mal der Forschung zugänglich gemacht und in seinen Umrissen dargestellt wurde. Die Arbeit dürfte auf diese Art für die zukünftige Forschung einen ersten Index dessen bereitstellen, was überhaupt an Texten zu dieser Thematik in der Frühen Neuzeit zu finden ist.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Die averroische Paraphrase der aristotelischen "Poetik" in ihren lateinischen Fassungen. In: Übertragungen. Formen und Konzepte von Reproduktion in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hg. v. Britta Bußmann, Albrecht Hausmann, Annelie Kreft und Cornelia Logemann. Berlin, New York 2005 (= Trends in Medieval Philology. 5.), S. 303-314
Volkhard Wels
- imaginatio oder inventio. Das dichterische Schaffen und sein Gegenstand bei Puttenham, Sidney und Temple. In: Poetica 37 (2005), S. 65-91
Volkhard Wels
- Poetik vor Opitz. In: Akten des XI. internationalen Germanistenkongresses Paris 2005 "Germanistik im Konflikt der Kulturen". Hg. v. Jean-Marie Valentin. Bd. 5 (= Jahrbuch für internationale Germanistik Reihe A, Bd. 81.). Bern, Berlin u.a. 2008, S. 321-325
Volkhard Wels
- Rationalistische Begründung der Dichtung und Kritik des Enthusiasmus. Die Poetik Campanellas in ihren historischen Bezügen. In: Scientia Poetica 9 (2005), S. 14-38
Volkhard Wels
- Zur Vorgeschichte des Begriffs der 'kreativen Phantasie'. In: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft 50 (2005), S. 199-226
Volkhard Wels
- Begabte oder entrückte Dichter. Aristoteles, Poetik 1455a 32-34 in den Kommentaren des 16. Jahrhunderts. In: Neulateinisches Jahrbuch 8 (2006), S. 293-312
Volkhard Wels
- Die logische Form des Dramas im 17. Jahrhundert. In: Spektakuläre Experimente. Praktiken der Evidenzproduktion im 17. Jahrhundert. Hg. v. Helmar Schramm, Ludger Schwarte, Jan Lazardzig. Berlin, New York 2006 (= Theatrum Scientiarum. 3.), S. 131-153
Volkhard Wels
- Der Begriff der Dichtung vor und nach der Reformation. In: Fragmenta Melanchthoniana Bd. 3: Melanchthons Wirkung in der europäischen Bildungsgeschichte. Hg. von Günter Frank und Sebastian Lalla. Heidelberg u.a. 2007, S. 81- 104
Volkhard Wels