Wie wird politische Verbindlichkeit hergestellt? Mikroanalyse der Erzeugung von Verbindlichkeit
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt „Wie wird politische Verbindlichkeit hergestellt? Mikroanalyse der Erzeugung von Verbindlichkeit“ hat in gleich mehreren Bereichen politikwissenschaftliches Neuland betreten: So wurden auf der Ebene der Theorieentwicklung mit dem Begriff der politischen Praktik und dem dreiteiligen Prozessschema von Akten der Verbindlichkeitsherstellung (Proposal – Acceptance – Confirmation) analytische Basiskategorien geschaffen, die gerade für interpretative Ansätze der Politikforschung hochgradig anschlussfähig sind und dort eine bestehende Forschungslücke schließen. Mit der erarbeiteten Methodik der Gremienanalyse wurde erstmals ein systematisches Verfahren zur – auf der Auswertung audiovisueller Daten beruhenden – Untersuchung von komplexen politischen Entscheidungsprozessen auf der Mikroebene entwickelt. Dieses vierschritttige Verfahren wurde sowohl im Bereich der Analyse von Realgremien als auch im Bereich der Analyse von Gruppenexperimenten erfolgreich erprobt und sukzessive weiterentwickelt. Ein entsprechendes Einführungsbuch, das das Verfahren einem größeren Publikum anwendungsorientiert präsentiert, wurde bereits publiziert. Mit der Entwicklung eines Research Designs für politikwissenschaftliche Gremienexperimente wurde ein auch interdisziplinär stark anschlussfähiges Instrumentarium entwickelt. Gerade die Gegenüberstellung von Gruppenexperimenten unter Anwesenheit (face-to-face Experimenten) und computerbasierten Chat-Experimenten erwies sich hier als ausgesprochen fruchtbar. Auf der Grundlage der entwickelten Basiskategorien und der Untersuchungsmethodik war es möglich, erstmals systematisch zu zeigen, dass sich das Herstellen von politischer Verbindlichkeit in typischen Abfolgen von Akten, Praktiken und Handlungssequenzen vollzieht, die sich prinzipiell in jedem mit Entscheidungsbefugnis versehenen politischen Gremium finden lassen – unabhängig vom den jeweiligen institutionellen Besonderheiten des Gremiums und unabhängig von der verhandelten Materie. Auf der Basis von Musteranalysen wurde die Grundlage zur Entwicklung einer Typologie politischer Praktiken geschaffen. Auch wenn hier keine abschließende Typologie sämtlicher möglichen politischen Praktiken entworfen werden konnte und sollte, so ist mit dem entwickelten begrifflichen und methodischen Instrumentarium doch erstmals ein systematischer Zugang zur Beantwortung der Frage geliefert worden, wie sich die Herstellung politischer Verbindlichkeit auf der Prozessebene vollzieht und welche basalen Elemente eine Praktik der Verbindlichkeitsherstellung – und mithin eine genuin politische Praktik – ausmachen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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2008: Entscheiden in Gremien. Von der Videoaufzeichnung zur Prozessanalyse. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Nullmeier, Frank/Pritzlaff, Tanja/Weihe, Anne Cordelia/Baumgarten, Britta
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2008: Wie wird in politischen Gremien entschieden? Konzeptionelle und methodische Grundlagen der Gremienanalyse. In: Politische Vierteljahresschrift 49 (2), 339-359
Weihe, Anne Cordelia/Pritzlaff, Tanja/Nullmeier, Frank/Felgenhauer, Tilo/Baumgarten, Britta
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2009: Mikroanalysen zum Einfluss nonverbaler Kommunikationsformen auf Abstimmungspraktiken in politischen Gremien. In: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 38 (1): 23-42
Baumgarten, Britta; Weihe, Anne Cordelia
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2009: The Implicit Normativity of Political Practices. Analyzing the Dynamics and Power Relations of Committee Decision-Making. In: Critical Policy Studies 3 (3-4), 357-374
Nullmeier, Frank; Pritzlaff, Tanja
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2009: Zu einer Theorie politischer Praktiken. In: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 38 (1), 7-22
Pritzlaff, Tanja; Nullmeier, Frank
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2010: The Great Chain of Legitimacy. Justifying Transnational Democracy. Bremen: Sfb 597 „Staatlichkeit im Wandel“, TranState Working Paper 123
Nullmeier, Frank/Pritzlaff, Tanja