Handbuch historischer Stahlhochbaukonstruktionen (1880-1940)
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Historische Stahlbauten stellen heutzutage einen wichtigen Gebäudebestand dar. Bei Erhaltung dieser Stahlkonstruktionen stellt sich die Frage nach der Strukturtragfähigkeit und adäquaten Instandsetzungsmaßnahmen, die nur mit Kenntnis unterschiedlicher Aspekte historischer Konstruktionen gelöst werden kann. Hierbei ist die Berücksichtigung der Werkstoffeigenschaften historischer Stähle, der alten statischen Berechungsverfahren und der baukonstruktiven Lösungen erforderlich. Diese sich gegenseitig beeinflussenden Einzelaspekte wurden im Forschungsvorhaben "Handbuch historischer Stahlhochbaukonstruktionen (1880- 1940)" analysiert, verknüpft und zusammengetragen, um als Hilfe bei Erhalt und Instandsetzung alter Stahlkonstruktionen zu dienen. Die Konstruktion historischer Stahlbauten wurde durch die Materialeigenschaften, die Formen der verfügbaren Stahlprofile, die Verbindungsmittel und die Berechnungsverfahren und -möglichkeiten beeinflusst. Zu diesen konstruktionsbestimmenden Aspekten wurde eine Literaturrecherche durchgeführt und ihr Einfluss auf die Konstruktion anhand ausgewählter historischer Projekte untersucht. Hierzu standen historische Planmaterialien (teilweise mit statischen Berechnungen) von Industriehallen zur Verfügung. Es wurde eine chronologische Übersicht mit Systemskizzen aller Projekte erstellt und ausführliche Datenblätter mit Konstruktionsdaten und Daten zur statischen Berechnung der Hallenbauten angelegt und mit grafischen Darstellungen aus dem Planmaterial ergänzt. Die wichtigsten Eckdaten wurden projektweise in eine Datenbank aufgenommen1. Diese Arbeiten waren die Grundlage für eine systematische Analyse historischer Konstruktionen. Auf der Grundlage der Literaturrecherche zu den konstruktionsbestimmenden Aspekten und den begleitenden Analysen zum Einfluss auf die Konstruktion anhand der historischen Projekte wurden folgende Ergebnisse erzielt: Als Material wurde überwiegend das industriell hergestellte Flusseisen - der spätere Stahl St 37 - verwendet. Das in Handarbeit hergestellte Puddeleisen wurde ab dem letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts kaum noch eingesetzt. Die historischen Materialien wiesen geänderte Eigenschaften gegenüber heutigen Stählen auf, da sie herstellungsspezifische Verunreinigungen enthielten, so dass sich bei bestimmten Stählen schlechtere Zähigkeiten, Alterungsanfälligkeiten und ungenügende Schweißeignungen ergaben. Die historischen Stahlprofile wurden bereits zu Beginn des betrachteten Zeitpunktes genormt. Die für den Hallenbau angewandten Profile blieben in ihrer Form über den betrachteten Zeitraum gleich, lediglich die Breitflanschträger kamen zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu dem ursprünglichen Sortiment hinzu und wurden zunehmend für Stützen und Riegel eingesetzt2. Größten Einfluss auf die Konstruktionsformen hatten die Verbindungsmittel. Ursprünglich war die Nietverbindung das bedeutendste Verbindungsmittel im Stahlbau. Mit dem Schweißen, das ab den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts angewandt wurde, konnten jedoch wesentlich einfacher als durch Nieten biegesteife Anschlüsse hergestellt werden. Des Weiteren ergaben sich leichtere, weniger arbeitsaufwendige Konstruktionen. Das Schweißen konnte das Nieten im betrachteten Zeitraum jedoch nicht verdrängen. Schweißverbindungen finden sich daher in den analysierten Projekten überwiegend in Rahmentragwerken, Fachwerke wurden ausschließlich genietet. Zur statischen Berechnung der Konstruktionen standen bei der Schnittgrößenermittlung unterschiedliche Berechnungsmethoden zur Verfügung. Für statisch bestimmte Tragwerke wurden überwiegend grafische Verfahren angewandt. Typische statisch unbestimmte Systeme konnten mit Hilfe von Tabellenwerken berechnet werden, andere Stabtragwerke konnten bereits ab Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Kraftgrößenverfahren gelöst werden. In den untersuchten historischen Sta tiken waren überwiegend grafische Verfahren zu finden. Die Bemessungsvorschriften entwickelten sich im betrachteten Zeitraum stark: von den ersten allgemeinen preußischen Hochbauvorschriften des Jahres 1890, über die preußischen Vorschriften speziell für den Eisenbau bis hin zu den einzelnen Normen des Bauwesens, die in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden3. Aus diesen Vorschriften waren vor allem die Lastannahmen, die zulässigen Spannungen und die Bemessungsverfahren entscheidend für Hallenkonstruktionen aus Stahl. Die Kenntnis über die historischen Bemessungsverfahren ist entscheidend für die Bewertung der Sicherheit der Tragstruktur aus heutiger Sicht. Daher wurden die wichtigsten Regeln der historischen Vorschriften ausgewertet und in Diagrammen zusammengestellt, die einen Vergleich mit heutigen Vorschriften ermöglichen4. Hier ergab sich, dass die Sicherheiten der Spannungsnachweise zu Beginn des betrachteten Zeitraumes höher als heute waren und sich den heutigen mit der Zeit annäherten. Die Knicknachweise waren zu Beginn des betrachteten Zeitraumes bei bestimmten Schlankheiten unsicher; mit Verbesserung der Genauigkeit in den Tragfähigkeitsprognosen wurden die Knicknachweise sicherer. Zu den historischen Lastannahmen war festzustellen, dass die Windlasten einer starken Entwicklung unterworfen waren und keine pauschale Aussage zur Höhe der Windlasten im Vergleich zu heute möglich ist. Die Schneelasten entwickelten sich über den betrachteten Zeitraum von einem pauschalen Wert zu einem von der Dachneigung abhängigen Wert. Eine Entwicklung in höhen- und lageabhängige Schneelastzonen erfolgte nicht. Heute sind in Schneelastzone 1 und überwiegend auch in Schneelastzone 2 geringere Schneebelastungen als früher anzusetzen. Lediglich in Schneelastzone 3 ergeben sich heute wesentlich höhere Schneelasten. Eine zusammenhängende Betrachtung zur Bewertung der Tragstruktur historischer Bauwerke lieferte die exemplarische Bemessung historischer Dachtragewerke nach heutigen Anforderungen. Hier ergab sich, dass in der Regel der Nachweis der Stäbe historischer Dachbinder - mit Standorten in Schneelastzone 1 oder 2 - auch nach heutigen Kriterien erfüllt ist. Vereinzelt waren jedoch Stabnachweise nicht erfüllt5. Aus den Ergebnissen der durchgeführten Bemessungen historischer Dachtragwerke wurden Hinweise zu kritischen Bauteilen zusammengestellt. Das Ergebnis prinzipiell ausreichender Tragfähigkeiten historischer Stahlhallen zeigte auch die Bestandsanalyse historischer Stahlhallen, die einen überwiegend guten Zustand der Tragstruktur (geringe Korrosion, keine Risse oder übermäßige Verformungen) aufwiesen. Des Weiteren wurden Stahlproben einer historischen Halle aus dem Jahr 1936 entnommen und bezüglich Materialzusammensetzung und mechanischer Kennwerte analysiert. Es lag ein typischer Altstahl vor, der starke Verunreinigungen und Anzeichen von Alterung aufweist. Die mechanischen Kennwerte des historischen Materials erfüllten dennoch bis auf eine geringfügige Abweichung die Anforderungen an einen heutigen Stahl Die Ergebnisse des Forschungsvorhabens zeigen deutlich, dass Überlegungen nach Erhalt und Instandsetzung in der Regel Erfolg versprechend sind, da die Tragfähigkeit historischer Konstruktionen auch nach heutigen Kriterien nachgewiesen werden kann, das Material dauerhaft ist und damit die Sanierung mit einem angemessenen Aufwand ermöglicht wird. Die Ergebnisse schaffen also Anreize für Bauherren, Architekten und Ingenieure, historisch historische Gebäude instand zu setzen und somit den wertvollen Industriegebäudebestand zu erhalten. Die Forschungsergebnisse helfen bei der Ermittlung der Tragfähigkeit historischer Konstruktionen, indem Materialkennwerte und historische Bemessungsverfahren und -Vorschriften bereitgestellt und Hinweise zu kritischen Konstruktionsteilen und Konstruktionsschwachstellen gegeben werden, die in den Analysen des Forschungsvorhabens ermittelt wurden. Die Vermittlung von Kenntnissen zu historischen Stahlkonstruktionen - bezüglich Material, Konstruktion und Bemessung - trägt dazu bei, dass sachgerechte Sanierungsmaßnahmen durchgeführt werden können, mit denen tatsächlich eine Verbesserung der Tragstruktur erzielt wird. Auf diese Weise unterstützen die Forschungsergebnisse die adäquate Sanierung historischer Stahlkonstruktionen. Um die erzielten Ergebnisse und die zusammengetragenen Daten zugänglich zu machen, strebt der Lehrstuhl für Stahlbau an, ein Handbuch herauszugeben, das den am Bauen im Bestand beteiligten Architekten und Ingenieuren wertvolle Hilfen zum Erhalt und zur Instandsetzung historischer Stahlkonstruktionen geben wird.