Zeitliche Aspekte von Blickverhalten und Blickkontakt bei Personen mit Sozialer Phobie in virtuellen sozialen Situationen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Aufmerksamkeitsprozesse werden als wichtige Faktoren für die Entstehung und Aufrechterhaltung bei phobischen Störungen angesehen. Speziell bei der sozialen Phobie scheinen Veränderungen der Aufmerksamkeit eine wichtige Rolle zu spielen. Allerdings liegen zwischen verschiedenen Paradigmen und teilweise auch innerhalb eines Paradigmas widersprüchliche Befunde vor. Das Projekt verfolgte auf den vorliegenden Befunden aufbauend das Ziel, die Aufmerksamkeitsausrichtung sowie die neuronalen Prozesse bei der Verarbeitung sozial relevanter Reize (Gesichtsausdrücke, Blickrichtung) in Abhängigkeit von sozialer Ängstlichkeit sowie sozialer Phobie besser zu verstehen. Als Methoden wurden die Erfassung der neuronalen Aktivität mittels EEG, die Erfassung der Aufmerksamkeit mittels Blickbewegungserfassung und die Aktivierung mittels peripher-physiologischer Messungen zusammen mit subjektiven Bewertungen der gezeigten Stimuli verwendet. Mittels EEG-Studien konnte gezeigt werden, dass die neuronale Verarbeitung von fazialen Emotionsausdrücken in Abhängigkeit von sozialer Ängstlichkeit erfasst mittels Fragebogen, aber auch in Abhängigkeit von aktueller sozialer Angst erhöht sind und hierbei insbesondere die emotionale Verarbeitung (Early Posterior Negativity, EPN), aber auch gesichtsverarbeitungsspezifische Komponenten wie die N170 bei ärgerlichen Gesichtsausdrücken betroffen sind. Bezüglich der Aufmerksamkeitsprozesse konnten innovative Paradigmen mit sozialen Interaktionen in Virtueller Realität sowie eine Antisakkadenaufgabe auf emotionale Gesichtsausdrücke etabliert werden. Mit der modifizierten Antisakkadenaufgabe konnte gezeigt werden, dass sozial ängstliche Probanden zu einer erhöhten Fehlerzahl bei der Darbietung von Gesichtsausdrücken neigen. In den Studien mit virtuellen sozialen Interaktionen konnten Annäherungsverhalten und Blickkontakt als Maße erfasst und damit ein ökologisch valides und gleichzeitig vollständig kontrollierbares Paradigma etabliert werden. In diesen Studien mit sozialen Interaktionsparadigmen mit Virtueller Realität konnten wir mit Hilfe von Augenbewegungsmessungen zeigen, dass insbesondere Blickkontakt mit Personen, die einen Ärgerausdruck zeigen, von Probanden mit hoher sozialer Angst verstärkt vermieden wird. Insgesamt hat das Projekt dazu beigetragen, die Paradigmen für die Untersuchung von Aufmerksamkeitsprozessen und die neuronale Verarbeitung von sozialen Reizen bei Sozialer Phobie zu erweitern und neue Paradigmen in diesem Forschungsfeld zu etablieren. Es hat aber auch gezeigt, dass die Aufmerksamkeitsprozesse bei sozialer Angst sehr vielschichtig sind und dass offenes Aufmerksamkeitsverhalten (Blickrichtung) in komplexen Umwelten, auch wenn sie durch die Verwendung von virtueller Realität deutlich vereinfacht wurden, einen komplexen Prozess darstellt und nur sehr aufwendig gemessen werden kann. Im Vergleich dazu war die Erhebung neuronaler Korrelate mittels EEG der Messung der Aufmerksamkeit durch Blickmessung deutlich überlegen. Die Erfassung neuronaler Aktivität mittels EEG könnte ein hohes Potential für die Differenzierung von ängstlichen und nichtängstlichen Probanden sowie zur Klärung der relevanten Faktoren bei der Sozialen Phobie aufweisen. Insgesamt wird erwartet, dass das Projekt als Gesamtes einen Beitrag dazu geleistet hat, gestörte Aufmerksamkeitsprozesse bei sozialer Ängstlichkeit zu verstehen. Die publizierten Befunde werden von der wissenschaftlichen Community rezipiert. Zum vollen Verständnis der Aufmerksamkeitsprozesse und der neuronalen Verarbeitung sozialer Reize bei sozialer Angst sind aber noch erhebliche Forschungsanstrengungen notwendig. Bezüglich der therapeutischen Nutzung erscheint die Etablierung von Übungsszenarien in Virtueller Realität (z.B. zum Blickkontakt) für die Behandlung von sozialer Phobie ein vielversprechender Ansatz zu sein.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2008). Visual attention during virtual social situations depends on social anxiety. CyberPsychology & Behavior, 11, 425-430
Mühlberger, A., Wieser, M. J. & Pauli, P.
- (2009). Early cortical processing of natural and artificial emotional faces differs between lower and higher social anxious persons. Journal of Neural Transmission. 116, 735-746
Mühlberger, A., Wieser, M. J., Herrmann, M. J., Weyers, P., Tröger, C. & Pauli, P.
- (2009). Fear of negative evaluation and the hypervigilance-avoidance hypothesis: an eye-tracking study. Journal of Neural Transmission. 116, 717-723
Wieser, M. J., Pauli, P., Weyers, P., Alpers, G. W. & Mühlberger, A.
- (2009). Is eye to eye contact really threatening and avoided in social anxiety? - New insights from eye-tracking and psychophysiology data in a mutual gaze design. Journal of Anxiety Disorders, 23, 93-103
Wieser, M. J., Pauli, P., Alpers, G. W. & Mühlberger, A.
- (2009). Probing the Attention Control Theory in Social Anxiety – An Emotional Sakkade task. Cognitive, Affective & Behavioral Neuroscience. 9. 314-322
Wieser, M. J., Pauli, P. & Mühlberger, A.
- (2010). Don’t look at Me in Anger! – Enhanced Processing of Angry Faces in Anticipation of Public Speaking. Psychophysiology, 47, 271-280
Wieser, M. J., Pauli, P., Reicherts, P. & Mühlberger, A.
- (2010). Virtual Social Interaction in Social Anxiety – The Impact of Sex, Gaze and Interpersonal Distance. CyberPsychology, Behavior, and Social Networking. 13, 547-554
Wieser, M.J., Pauli, P., Grosseibl, M., Molzow, I., & Mühlberger, A.