"Ich spiele nicht auf eure Art". Stil und Repertoire der traditionellen russischen Instrumentalmusik im Grenzgebiet zu Weißrussland als Faktor für die Bildung von ethnischer und Generationenidentität
Zusammenfassung der Projektergebnisse
In dem Projekt wurden erstmals Phänomene der traditionellen russischen Musik als Faktoren für die Identitätsbildung von ethnischen Gruppen und Generationen untersucht. Auf Feldforschungen in den Gebieten von Pskov, Tver’ und Smolensk wurden zunächst wenig erforschte regionale Traditionen der Instrumentalmusik erkundet. Ebenso wurden die klein- und großräumigen ethnischen Grenzen und ihre Wahrnehmung in den lokalen Kulturen untersucht, wobei insbesondere erstmals für das Forschungsgebiet die Grenze zwischen den russischen und den weißrussischen Dialektträgern (skobari und poljaki) genauer lokalisiert werden konnte. Diese in früheren Zeiten bedeutsame Grenze konnte nun mit ethnomusikalischen Stil- und Repertoiregrenzen in Beziehung gesetzt werden. Es hat sich gezeigt, daß auch in einer traditionell geprägten, bäuerlichen Gesellschaft Ethnizität als ein dynamisches Phänomen begriffen werden muß, das durch politische, aber auch durch kulturellen Faktoren sich in ständigem Wandel befinden kann. Dieser Wandel steht in unmittelbarem Zusammenhang mit musikkulturellen Phänomenen. Das Verhältnis benachbarter Musiktraditionen ist generell von wohlwollendem Interesse bestimmt. Dies gilt ebenso für das Verhältnis der musikalisch aktiven Generationen. Dagegen stoßen medial vermittelte, westlich geprägte Popularmusikstile und die entsprechenden Tänze bei der älteren Generation zumeist auf scharfe Ablehnung, wobei in erster Linie ästhetisch argumentiert wird. Das historische Seitenthema der Feldforschungen erbrachte erstmals seit einhundert Jahren neue Erkenntnisse über die Sackpfeife in Rußland. Eine Analyse zahlreicher Harmonikastücke läßt einen deutlichen Einfluß des heute weitestgehend vergessenen Spielmannsinstruments erkennen. Ein wesentliches Ergebnis des Projekts ist die vom Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Hamburg (Systemata Musika Produktion) herausgegebene vierstündige kommentierte DVD „Traditional Russian Instrumental Music“. Die auf dieser weltweit ersten Videodokumentation zur russischen instrumentalen Volksmusik präsentierten Feldaufnahmen sind sicherlich nicht nur für die musikwissenschaftliche Fachwelt von Interesse.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Der Skobarja von Velikie Luki und angrenzende instrumental-vokale Formen im Gebiet Tver’ (ethnische und ethnomusikalische Identität) in: Systematic and Comparative Musicology: Concepts, Methods, Findings (Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft, Bd. 24), Hamburg, S. 399- 442
Ulrich Morgenstern
