Neue kulturell-identitäre politische Bewegungen (NKIPB) in verschiedenen kulturellen Kontexten
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Während generell eine Isomorphie der untersuchten Bewegungen in Hinblick auf ihre tendenzielle Mäßigung und ihre Etablierung als zunehmend moderate politische Organisationen in den politischen Systemen Indiens und Algeriens festzustellen ist, ist es besonders der Faktor der Rente, der diese Isomorphie in paradoxer Weise kennzeichnet: Während in beiden Fallstudien die Verknappung der Renten den Ausgangspunkt des Aufstiegs der NKIPB bildet, ist die Rentenverknappung In Indien ursächlich für die fortgesetzte Mäßigung der Partei durch die zunehmende Bedeutung und Verankerung eines Diskurses der Liberalisierung, die zu einer Abwendung von der ursprünglichen, tendenziell radikalisierenden kulturell-identitären Agenda führt. In Algerien Ist es gerade die konjunkturell bedingte Überwindung der Rentenverknappung, die eine Mäßigung des islamistischen Spektrums ermöglicht, während Rentenverknappung zur Radikalisierung dieses Spektrums führt. Das Paradox verdeutlicht den Stellenwert der Rente für die Ausrichtung politischer Akteure. In Indien ist die Verknappung der Renten auf das Unvermögen des Staates zur Befriedigung der Interessen wachsender, politisch einflussreicher Gruppierungen zurückzuführen, dessen Ursache das im Vergleich zu einem klassischen Rentierstaat wie Algerien geringe Rentenaufkommen ist. Dies führt zur Abkehr der Mittelschichten vom Rentierstaat und damit zur Liberalisierung der Indischen Wirtschaft. Die Unterschiede im Mechanismus der Rentengenerierung in Indien und Algerien bedeuten, dass der Rentierstaat Algerien konjunkturelle Zyklen der Verknappung und des Wachstums des Rentenaufkommens durchläuft, diese allerdings temporär begrenzt bleiben. Da eine dauerhafte Verknappung der Renten in Algerien nicht abzusehen ist, kommt es im Vergleich zu Indien nur in unzureichendem Maße zur dauerhaften Abkehr der die Mäßigung der islamistischen Organisationen bestimmenden Mittelschichten vom Rentierstaat. Statt dessen verläuft die Mäßigung islamistischer Bewegungen und die Integration aufsteigender Mittelschichten über ihre Kooptation seitens der säkular-nationalistischen Eliten und ist somit konjunkturell bedingten Schwankungen unterworfen. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts stehen im Zusammenhang mit der übergeordneten Fragestellung des Projektleiters nach der weiteren Entwicklung des modernen kapitalistischen Weltsystems. Leitfrage hier ist, ob die Globalisierung als Globalisierung von Rente oder Globalisierung von Profit interpretiert werden kann, folglich ob es zu einer weiteren Ausdehnung marktwirtschaftlicher Strukturen in der Weltwirtschaft oder zu einer rückläufigen Bewegung im Sinne einer Verrentung globaler wirtschaftlicher Strukturen kommt. Dabei werden NKIPB tendenziell als Träger einer weiteren Liberalisierung und - damit einhergehend - Kapitalisierung des Weltsystems betrachtet, die folglich stabilisierend auf das System der internationalen Beziehungen wirken. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts wirken modifizierend auf diese Hypothese: Der Einfluss hoher Rentenaufkommen (wie derzeit in Algerien) behindert die Dauerhaftigkeit und Stabilität der Mäßigungstendenzen von NKIPB, da diese konjunkturellen Zyklen unterworfen werden.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- "Defis specifiques de Ia mondiaiisation pour Ia culture musulmane", in: Bouamrane Chikh (Hg.), La monäialisation et son impact sur Ia culture islamique. Alger: Haut Conseil Islamique, 61-91.
Hartmut Elsenhans. 2005.
- Staatsklasse als Entscheidungsakteur in den Ländern der Dritten Welt. Struktur, Entwicklung und Aufbau der Staatsklasse am Beispiel Algerien. (Mit einem Vorwort von Hartmut Elsenhans). Münster: Lit.
Rachid Ouaissa. 2005.
- "An Introduction to the Indian Party System," in: Klaus Voll und Doreen Beierlein (Hg.), Rising India - Europe's Partner Foreign and Security Policy, Politics, Economics, Human Rights and Social Issues, Media, Civil Society and Intercultural Dimensions. Berlin: Weißensee, 474-482.
Sebastian Schwecke. 2006.
- "Fundamentalism: Failed Modernity and the West", in: Klaus Voll und Doreen Beierlein (Hg.), Rising India - Europe's Partner. Foreign and Security Policy, Politics, Economics, Human Rights and Social Issues, Media, Civil Society and Intercultural Dimensions. Berlin: Weißensee. 363-372.
Hartmut Elsenhans. 2006.
- "The Economic Rationale of the Bharatiya Janata Party", in: Klaus Voll und Doreen Beierlein (Hg.), Rising India - Europe's Partner. Foreign and Security Policy, Politics, Economics, Human Rights and Social Issues, Media, Civil Society and Intercultural Dimensions. Berlin: Weißensee, 628-632.
Hartmut Elsenhans. 2006.
- "The WTO, Globalisation and New Political Movements of the South", in: Hartmut Elsenhans und Rajendra K. Jain (Hg.), India, the European Union and the WTO. New Delhi: Radiant Publishers, 51- 98.
Hartmut Elsenhans. 2006.
- "Folgen einer gescheiterten Entwicklungsstrategie. Zum Aufstieg und der politischen Ökonomie fundamentalistischer Bewegungen," Eins Entwicklungspolitik Information Nord-Süd 19/20, Oktober 2007, 51-52.
Rachid Ouaissa und Sebastian Schwecke. 2007.
- "Islamistische Parteien im Maghreb. Der Maghreb zwischen moderatem und radikalem Islam", GTZ-Dokumentation, 31-41.
Rachid Ouaissa. 2007.
- "The Global System, the European Union and India: The Challenge of Creating New Identities," in: Rajendra K. Jain (Hg.), India and the European Union. Building a Strategic Partnership. New Delhi: Radiant Publishers, 230-253.
Hartmut Elsenhans. 2007.
- "Aufstieg und Mäßigung des politischen Islam in Algerien", in: Holger Albrecht und Kevin Köhler (Hg.), Politischer Islam im Nahen und Mittleren Osten. Zwischen Sozialbewegung, Opposition und Widerstand. Baden-Baden: Nomos, 143-164.
Rachid Ouaissa. 2008.
- "Dynamik der Staatsklasse in Zeiten niedriger Renten am Beispiel Algerien", in: Martin Beck, Cylia Härders, Anette Jünemann,Stephan Stetter (Hg.), Der Nahe Osten im Umbruch. Zwischen Transformation und Autoritarismus. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Rachid Ouaissa. 2008.