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Wissens- und Technologietransfer zwischen Human- und Veterinärmedizin: Die Geschichte der Wechselbeziehungen zwischen der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen Veterinary (AO Vet) und der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen (AO), ca. 1960-2000

Fachliche Zuordnung Wissenschaftsgeschichte
Förderung Förderung von 2005 bis 2010
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 5456225
 
Erstellungsjahr 2010

Zusammenfassung der Projektergebnisse

In der Osteosyntheseforschung (Teil der chirurgischen Traumatologie) besteht etwa seit dem Ende der 1960er Jahre ein reger Austausch zwischen der Human- und der Veterinärmedizin. Im Projekt wurde die Geschichte des Wissens- und Technologietransfers zwischen Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen (AO) und der Arbeitsgemeinschaft ftjr Osteosynthesefragen Veterinary (AO-Vet) (ursprünglich in der Schweiz angesiedelt, jetzt global agierend) untersucht. Dabei wurden Fragestellungen aus Geschichte der Chirurgie, des Tier- und Humanexperiments, des Technologietransfers in den medizinischen Wissenschaften, sowie die Historizität im Status des Tieres im Verhältnis zum Menschen verfolgt. In einem ersten Schritt wurde die bisher nicht rekonstruierte Geschichte der AO- Vet untersucht. Dabei war die rasche Internationalisierung der AO-Vet bemerkenswert, die aus einer lokalen Initiative entstand. Durch die frühe, enge Kooperation der schweizerischen Tierärzte (primär niedergelassene Praktiker ohne universitäre Anbindung) mit nordamerikanischen Tierärzten, die wiederum alle in der universitären Veterinärmedizin tätig waren, setzte in der Schweiz und dann weiter in Deutschland und anderen europäischen Ländern eine akademische Spezialisierung in Richtung Veterinärchirurgie ein. damit verbunden eine zunehmende Professlonalisierung der akademischuniversitären Veterinärmedizin, die sich stark am US-amerikanischen Vorbild orientierte. In einem zweiten Schritt konnte gezeigt werden, dass die AO-Organisationen eine spezifische Form der Interdisziplinarität hervorgebracht haben, die wiederum eine besondere Art und Weise von Wissenstransfer ermöglichte. Das Besondere liegt darin, dass die AO und die AO-Vet nicht um eine universitäre Disziplin herum gegründet wurden, sondern um eine spezifische Technologie zur Frakturbehandlung. Im Mittelpunkt der AO-Organisationen steht eine bestimmte Technologie, um die sich die Tätigkeit verschiedener Berufsgruppen konfiguriert: Chirurgen, Metallurgen, Ingenieure, Werkzeugmacher, Ökonomen, Anatomen, klinische Tierärzte, experimentelle Chirurgen etc. Die AO hat sich einen eigenen Wissensraum geschaffen und ihre Autonomie der Universität gegenüber erhalten. Dieser Raum ist ausgelegt auf die Mobilität des Wissens, das darin zirkulieren kann. Um diese Formen der Wissenszirkulation adäquat zu beschreiben, war nach der Durchsicht des empirischen Materials eine kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept des Wissens- und Technologietransfers notwendig. Statt dem Begriff des Transfers wurde das Konzept des Wissensverkehrs (orientiert am .Denkverkehr' der Epistemologie Ludwik Flecks) fruchtbar gemacht. Er ermöglicht das Zusammendenken von Beweglichkeit und Regulation, das sich in vielen Organisationseinheiten der AO wieder findet, die mit dem Transport von Wissen, Technik und Material beschäftigt sind. Das Konzept lenkt dabei die Aufmerksamkeit auf die Wichtigkeit der Verkehrsregeln, die nötig sind, um Wissensflüsse zu ermöglichen, die aber auch immer wieder angepasst und neu verhandelt werden müssen. In einem dritten Analyseschritt zeigte sich, dass die Geschichte der AO-Vet und der Tier- Mensch-Beziehungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als eine Geschichte der simultanen gesellschaftlichen Neu- und Umverteilung von ökonomischen, affektiven und epistemologisch-technologischen Ressourcen verstanden werden kann, welche die Herstellung und Materialisierung ,neuer' biomedizinischer Objekte begünstigte. Zu diesen neuen Objekten gehörten auch die so genannten ,implant-pets' der AO-Vet, also Haustiere, die nach Unfällen und daraus resultierenden Knochenbrüchen mit der neuesten Technologie der Frakturbehandlung nach menschlichem Vorbild versorgt wurden (vorher dagegen solche Unfälle kaum überlebten bzw. eingeschläfert werden mussten).

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2009): The Emergence of "Implant-pets" and "Bone-sheep": Animals as New Biomedical Objects in Orthopedic Surgery, in: History and Philosophy of the Life Sciences 31: 433-466
    Martina Schlünder und Thomas Schlich
  • (2009): Tiermodell und Menschenbild. Konfigurationen der epistemologischen und ethischen Mensch-Tier-Grenzzlehung in der Humanmedizin zwischen 1880 und 1945. In: Birgit Griesecke, Marcus, Krause, Nicolas Pethes, Katja Sabisch (Hg.) Kulturgeschichte des Menschenversuchs im 20. Jahrhundert. Frankfurt/Main: Suhrkamp: 16-47
    Volker Roelcke
 
 

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