"Komponieren" in Deutschland während der 1930er und 1940er Jahre, dargestellt am Werk Winfried Zilligs
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Forschungsprojekt „«Komponieren» in Deutschland während der 1930er und 1940er Jahre, dargestellt am Werk Winfried Zilligs“ ging von der Intention aus, das zeitgeschichtlich und biographisch bereits sehr deutliche Bild des Verhältnisses von Macht und Musik in der Zeit des Nationalsozialismus‘ um eine bislang wenig beachtete Perspektive zu erweitern, die Untersuchung der musikalischen Zeugnisse selbst. Ziel war es, einen historiographischen Beitrag zur bislang kaum oder unzureichend geschriebenen Kompositionsgeschichte dieses Zeitraums zu leisten. Die Untersuchungen gingen von einem Referenzfall, dem Komponisten Winfried Zillig (1905-1963) aus, dessen Eignung als exemplarischer Forschungsgegenstand sich im Projektverlauf bestätigte. Es konnte gezeigt werden, dass parallel zur Kontinuität der beruflichen Laufbahn sich auch die Schaffensbiographie quantitativ ungebrochen fortsetzte. Erst auf Basis umfangreicher, aufwändig zu erschließender Quellenbestände wurden aber Analysen möglich, die hinter dieser Fassade liegende, tiefgreifende Brüche im Komponieren offenlegten. Der Nachweis, dass die kompositorische Faktur der Zeiträume vor 1933, 1933 bis 1945 und nach 1945 stets vom individuellen, artifiziell zeitgemäßen, analytisch bestimmbaren Kern eines kompositorischen Idioms einerseits und von situationsabhängigen Modifikationen andererseits geprägt war, stellte einen entscheidenden Schritt für den Entwurf eines differenzierenden Bildes dar. Die Kompositionen konnten pauschalen Diskreditierungen, die mit dem zeitgeschichtlichen Entstehungskontext verbundenen waren, entzogen und so für einen Erkenntnisgewinn geöffnet werden – dass dies nicht mit einer exkulpatorischen Entkontextualisierung zu verwechseln ist, sei hier ein weiteres Mal hervorgehoben. Differenzierbare außermusikalische Einflüsse wirkten auf den Komponisten ein, indem ein in Quellen belegtes Gefühl der Bedrohung geschaffen wurde, dem mit vorauseilendem Gehorsam und Vermeidung vermeintlicher Provokationen in der Musik begegnet wurde. Dahinter aber stand ein vielschichtiger kompositorischer Anpassungsprozess, zu dessen äußerlichen Ausprägungen das Ausweichen in funktionale Bereiche der Musik – etwa Film-, Schauspiel- und Festmusiken – und durch Funktionalisierung veränderte Formen scheinbar traditioneller Gattungen gehörte. Die detaillierten Analysen konnten aber darüber hinaus zeigen, dass in öffentlichen und nichtöffentlichen Werken zeitgleich, aber in sehr unterschiedlicher Art und teils in „verdeckter Schreibweise“ kompositorische Verfahren (etwa modifizierte Dodekaphonie) anwendbar blieben, die von der NS-Ideologie abgelehnt wurden, wenn dies durch geeignete kompositionstechnische und stilistische Anpassungen kaschiert war. Im Spannungsverhältnis zwischen kompositorischer Individualität und systemkonformer Modifikation wurden die musikalischen Analysen so lesbar als Psychogramm eines ursprünglich künstlerisch freien Menschen, seiner Unterordnung und Anpassung an die Bedingungen der Diktatur und – auch dies war Gegenstand der Untersuchungen – nur partiell gelingenden Restitution nach deren Zusammenbruch. In der Ausweitung des Forschungsansatzes auf eine überschaubare, aber aussagekräftige Anzahl von Komponisten erwiesen sich grundsätzliche Erkenntnisse und Methoden als übertragbar und zielführend. Zugleich wurde deutlich, dass gerade auch die Minderheit anders gelagerter Schaffensbiographien vor dem Hintergrund der neuen Perspektive besser verstanden werden kann. Hier wird freilich weitere, teils bereits in Angriff genommene Forschungsarbeit zu leisten sein.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Der Komponist mit dem Januskopf. Musikalisches Schaffen unterm Hakenkreuz – das Beispiel Winfried Zillig. In: forschung. Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft 3/2008, S. 10–13 (englische Version in: german research. Magazine of the Deutsche Forschungsgemeinschaft 1/2009, S. 14–17)
Ulrich Konrad
- „Komponieren“ in Deutschland in den 1930er und 1940er Jahren am Beispiel Gerhard Frommels (1906-1984). Ambivalenz, Kontinuität und Einflüsse in Werk und Wirkungsgeschichte. 17.9.2009, Jahrestagung der Gesellschaft für Musikforschung in Tübingen
Katharina Teschers-Wanek