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Staatlich geführte Kriege in einem depolitisierten autoritären Kontext: Wie die russische Bevölkerung Russlands Invasion in der Ukraine unterstützt und ablehnt
Antragstellerin
Svetlana Erpyleva, Ph.D.
Fachliche Zuordnung
Empirische Sozialforschung
Förderung
Förderung seit 2024
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 547748581
Seitdem Russland im Februar 2022 seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine gestartet hat, ist eine der relevanten, jedoch schwer zu beantwortenden Fragen, ob die russische Bevölkerung die Entscheidung ihrer Regierung tatsächlich unterstützt. Bei der Diskussion dieser Frage wird jedoch ignoriert, dass die Wahrnehmung des Krieges durch die russische Bevölkerung passiv und inkonsistent ist. Wie alle seriösen Meinungsumfragen zeigen, gibt es in der russischen Gesellschaft zwei Minderheiten von überzeugten Unterstützern und Gegnern des Krieges, während die Mehrheit der Bevölkerung keine kohärente Position hat. Diese Mehrheit rechtfertigt und verurteilt verschiedene Aspekte des Krieges gleichzeitig: Sie wünscht sich einerseits den Sieg Russlands, denkt jedoch gleichzeitig, dass es besser wäre, wenn der Krieg nie begonnen hätte. Diese paradoxe Wahrnehmung des Krieges erklärt sich aus der Beziehung zwischen der russische Gesellschaft und einem politischen Regime, dessen Stabilität immer noch weitgehend auf passiver Loyalität einer politisch skeptischen Bevölkerung beruht. Die wissenschaftliche Literatur zur öffentlichen Wahrnehmung von Kriegen ist nur teilweise hilfreich, um zu verstehen, wie diese inkonsistente Kriegswahrnehmung in Russland funktioniert, da sie überwiegend auf Erkenntnissen aus westlichen Demokratien basiert und somit nicht direkt auf autoritäre Kontexte übertragbar ist. Hinzu kommt, dass der Großteil der verfügbaren Forschung zur Kriegswahrnehmung in Russland auf Umfragedaten basiert. Während Umfragen gut geeignet sind, um grundlegende Entwicklungen in einer Gesellschaft zu skizzieren, müssen sie mit qualitativen Methoden kombiniert werden, um mehr von der Komplexität, den Diskrepanzen und den Widersprüchen hinter den Einstellungen der Menschen zu erfassen.Im beantragen Projekt soll deshalb ein einzigartiger qualitativer Datensatz zur öffentlichen Kriegswahrnehmung in Russland analysiert werden, der bereits von einem Team unter der Leitung der Antragstellerin in den Jahren 2022/23 erhoben wurde. Der Datensatz umfasst 370 ausführliche soziologische Interviews mit Russen, die unterschiedliche Ansichten zum Krieg haben und verschiedene soziodemografische Merkmale besitzen. Das Projekt zielt darauf ab, (1) die Mechanismen hinter der paradoxen und inkohärenten Kriegswahrnehmung in Russland zu erläutern und (2) eine Theorie der depolitisierten Unterstützung und Opposition bezüglich staatlich geführter Kriege unter autoritären Bedingungen zu entwickeln, wobei Russland als Fallstudie dient. Im Wesentlichen wird diese Theorie erklären, wie ein autoritäres Regime – während es einen unpopulären Krieg beginnt und bestimmte Bevölkerungsgruppen politisiert – immer noch auf die passive Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung zählen kann. Diese Theorie wird zu einem besseren wissenschaftlichen Verständnis der Mechanismen hinter Unterstützung für und Opposition gegen staatlich geführte Kriege in nicht-demokratischen Kontexten beitragen.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen