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SFB 632:  Informationsstruktur: Die sprachlichen Mittel der Gliederung von Äußerung, Satz und Text

Fachliche Zuordnung Geisteswissenschaften
Förderung Förderung von 2003 bis 2015
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 5485900
 
Erstellungsjahr 2015

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Übergeordnetes Ziel des SFB632 war die genaue Untersuchung des Phänomens der Informationsstruktur und deren Verhältnis zur Grammatik natürlicher Sprachen. Informationsstruktur bezeichnet die Art und Weise, in der Inhalte einer Äußerung strukturiert, d.h. linear und hierarchisch organisiert sind. Die Forschung im SFB hob dabei auf sprachliche Äußerungen als Träger von Informationen ab; grundsätzlich können Informationen jedoch auch nichtsprachlich übermittelt werden. Derselbe informative Gehalt einer Äußerung, ihre Botschaft, kann in unterschiedlichen Kontexten auf verschiedene Weise sprachlich realisiert oder ‚verpackt‘ werden, wobei die sprachliche Verpackung u.a. abhängt von Kontext, Wissenstand, Aufmerksamkeit oder Diskurszielen der Diskursteilnehmer/innen. So kann z.B. der Aussagesatz Karl fährt morgen nach Berlin mit Akzent auf Berlin oder Karl realisiert werden, je nachdem, ob der Adressat am Reiseziel (Wohin?) oder an der Identität der/s Reisenden (Wer?) interessiert ist, und derselbe Inhalt kann z.B. in der Form Er fährt morgen nach Berlin oder Da fährt Karl morgen hin sprachlich realisiert werden, je nachdem, ob es im Diskurs an der Stelle um Karl oder um Berlin geht. Informationsstruktur ist demnach an der Schnittstelle von Grammatik und nicht-sprachlicher Kognition angesiedelt. Ausgehend von dem Befund, dass Informationsstruktur einerseits eine zentrale Rolle für sprachliche Kommunikation spielt, die Sprachen der Welt aber andererseits große Variabilität bei der Kodierung informationsstruktureller Kategorien aufweisen, ergaben sich die folgenden empirischen, methodischen und theoretischen Zielsetzungen für den SFB: Empirisch stand die systematische Erhebung von Daten zur sprachlichen Realisierung und Verarbeitung von Informationsstruktur im Vordergrund, und zwar vor allem in nichteuropäischen Sprachen, im Spracherwerb, im Sprachwandel und in Sprachkontaktsituationen. Methodologisch ging es um die Erhebung experimenteller (einschließlich psycho- und neurolinguistischer), spontansprachlicher und diachroner Daten zur Informationsstruktur und um die Entwicklung annotierter Mehrebenen-Korpora. Theoretisch ging es um ein besseres Verständnis der zugrundeliegenden Informationsstruktur-Kategorien und deren Verhältnis zu den grammatischen Kernkomponenten Phonologie, (Morpho-) Syntax und Semantik. Ein zentrales Ziel war daneben die Entwicklung einer konsistenten Terminologie. Die unterschiedlichen Zielstellungen wurden im SFB632 aus unterschiedlichen linguistischen und kognitionswissenschaftlichen Perspektiven (Grammatiktheorie, Typologie, Variationslinguistik, Korpuslinguistik, Sprachkontaktforschung, Computerlinguistik, Psycho-/Neurolinguistik, Psychologie) und in erfolgreichen disziplinübergreifenden Kooperationen verfolgt. Daneben gab es anwendungsorientierte Kooperationen mit außeruniversitären Partnern in der Entwicklung von Sprachsynthese-Software und im Bildungsbereich. Ein zentrales methodologisches Ergebnis ist die Entwicklung eines Fragebogens (QUIS) zur Erhebung von vergleichbaren und quantifizierbaren Daten zur Informationsstruktur in unterschiedlichen Sprachen. Komplementiert wird QUIS durch den Fragebogen QUISsem zur Erhebung fokussemantischer Daten. Ein zweites wichtiges Ergebnis ist die Entwicklung der ANNIS-Datenbank zur Annotation, Präsentation und Archivierung der im SFB erhobenen Daten. Die ANNIS-Datenbank, die auch über die Laufzeit des SFBs hinaus zugänglich ist, dient auch als Grundlage für quantifizierende Korpusstudien. Drittens wurden psycholinguistische offline- und online-Experimente (ERP, Eye-Tracking, Acting Out, Recall, u.a.) vor allem zur Untersuchung der Rolle von Informationsstruktur in Sprachverarbeitung (Verständnis und Produktion) und Spracherwerb entwickelt und erfolgreich eingesetzt. In empirischer Hinsicht ist ein Hauptergebnis die Erhebung von vergleichbaren Daten zur Informationsstruktur in 17 typologisch nicht verwandten Sprachen weltweit mithilfe des QUIS, ergänzt durch unterschiedliche weitere Elizitierungsmethoden. Einige dieser Sprachen (z.B. Niue, Mwang, Prinmi, Konkani) bzw. Varietäten (Kiezdeutsch, Türkischdeutsch) wurden zum ersten Mal in Hinblick auf informationsstrukturelle Eigenschaften untersucht. Zusätzlich wurden im SFB eine Vielzahl an phonetisch-phonologischen, morpho-syntaktischen und semantischen Einzelstudien zur Informationsstruktur europäischer und nichteuropäischer Sprachen durchgeführt, wobei der empirische Fokus bei den nicht-europäischen Sprachen auf Westafrika (Tschadisch, Gur, Kwa, Bantu), Mittelamerika (Maya, Teribe) und (Süd)Ostasien (Mandarin, Japanisch, Vietnamesisch) lag , während bei den Untersuchungen zum Deutschen auch der informelle Sprachgebrauch außerhalb des Standarddeutschen fokussiert wurde. Komplettiert wurden diese durch Untersuchungen zum Spracherwerb in mehreren europäischen Sprachen (Dt., Engl., Frz., Finn.), zum Sprachwandel, und durch psycho-/neurolinguistische Studien zur Verarbeitung von sprachlich und nichtsprachlich eingebetteten und von informationsstrukturell markierten Sätzen. In ihrer Gesamtheit tragen die empirischen Studien zu einem wesentlich besseren theoretischen Verständnis von Informationsstruktur bei, welches über den SFB hinaus zur Modellbildung und als Grundlage für weitere Forschungen in vielen Fachbereichen (Afrikanistik, Romanistik, hist. Sprachwissenschaft, Sprachkontaktforschung, Spracherwerb, Allg. Sprachwissenschaft, Computerlinguistik) verwendet wird. Informationsstruktur besteht aus drei unabhängigen aber miteinander interagierenden Dimensionen: Gegeben-Neu, Fokus-Hintergrund, Topik-Kommentar. Sprachen und Varietäten unterscheiden sich darin, welche dieser Dimensionen grammatisch markiert werden (können), und welche grammatische Strategie (Syntax, Phonologie, Morphologie) zur Markierung verwendet wird. Ein weiteres wichtiges Ergebnis ist, dass IS-Kategorien wie z.B. Fokus, anders als häufig angenommen, in vielen Sprachen nicht obligatorisch durch strukturelle Prominenz angezeigt werden. Die sich daraus ergebende Optionalität und Unterspezifizierung im sprachlichen Ausdruck von Informationsstruktur hat Auswirkungen auf die theoretische Konzeption der Schnittstelle von Informationsstruktur und Grammatik. Einerseits ist Informationsstruktur viel stärker durch nicht-sprachliche kognitive und kommunikative Faktoren wie z.B. Höreraufmerksamkeit und –erwartung bedingt als in vielen linguistischen Ansätzen angenommen. Dieser Befund unterstreicht die Wichtigkeit von psycho- und neurolinguistischen Ansätzen in der Informationsstrukturforschung. Andererseits deutet das häufige Fehlen einer expliziten Informationsstrukturmarkierung auf eine eher indirekte Beziehung zwischen Informationsstruktur und der grammatischen Kernkomponente der Syntax hin. Dieses Ergebnis widerspricht prominenten Syntaxtheorien und wird die theoretischen Debatten um Informationsstruktur und Grammatik auch in Zukunft nachhaltig beeinflussen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2006). Focus projection and prosodic prominence in nested foci. Language 82(1), 131-150
    Féry, C. & Samek-Lodovici, V.
  • (2006). Questionnaire on Information Structure (QUIS) – Reference Manual. In Working Papers of the SFB632, Interdisciplinary Studies on Information Structure (ISIS) 4. Potsdam: Universitätsverlag Potsdam
    Skopeteas, S., Fiedler, I., Hellmuth, S., Schwarz, A., Stoel, R., Fanselow, G., Féry, C. & Krifka, M.
  • (2007). Focus Strategies in Niger-Congo and AfroAsiatic: On the interaction of focus and grammar in some African Languages. de Gruyter, Berlin
    Aboh, E. O., Hartmann, K. & Zimmermann, M. (eds.)
  • (2007). Zur informationsstrukturellen Annotation sprachhistorischer Texte. Sprache und Datenverarbeitung 31, 39-45
    Donhauser, K.
  • (2008). Basic Notions of Information Structure. Acta Linguistica Hungarica 55, 243-276
    Krifka, M.
  • (2008). Pitch accent scaling on given, new and focused constituents in German. Journal of Phonetics 36, 680-703
    Féry, C. & Kügler, F.
  • (2009). Information structure and language change: new approaches to word order variation in Germanic. Berlin: Mouton de Gruyter
    Hinterhölzl, R. & Petrova, S. (eds.)
  • (2009). Quantificational topics. A scopal treatment of exceptional wide scope phenomena. Dordrecht: Springer
    Endriss, C.
  • (2009). Tone and intonation from a typological perspective. Special issue of Lingua 119(6)
    Zerbian, S., Downing, L. & Kügler, F. (eds.)
  • (2010). Contrast as an Information-Structural Notion in Grammar. Special issue of Lingua 120(6)
    Repp, S. & Cook, P.
  • (2010). Evidence for two types of focus positions in Old High German. In G. Ferraresi & R. Lühr (eds.), Diachronic Studies on Information Structure: Language Acquisition and Change. Berlin: de Gruyter, 189-217
    Petrova, S. & Hinterhölzl, R.
  • (2010). From V1 to V2 in Older Germanic. Lingua 120(2), 315-328
    Hinterhölzl, R. & Petrova, S.
  • (2010). Information Structure. Theoretical, Typological, and Experimental Perspectives. Oxford University Press, Oxford
    Zimmermann, M. & Féry, C. (eds.)
  • (2010). Information Structure: Overview and Lingustic Issues. In M. Krifka & R. Musan (eds.), The expression of information structure, 1-44. Berlin: De Gruyter Mouton
    Krifka, M. & Musan, R.
  • (2010). Subject Focus in West African Languages. In M. Zimmermann & C. Féry (eds.), Information Structure. Theoretical, Typological, and Experimental Perspectives, 234-257. Oxford: OUP
    Fiedler, I., Hartmann, K., Reineke, B., Schwarz, A. & Zimmermann, M.
  • (2010). The Expression of Information Structure. A documentation of its diversity across Africa. Amsterdam: John Benjamins
    Fiedler, I. & Schwarz, A. (eds.)
  • (2011). Contextual Licensing of Marked OVS Word Oder in German. Linguistische Berichte 225, 3-18
    Weskott, T, Hörnig, R., Fanselow, G. & Kliegl, R.
  • (2011). Exhaustiveness effects in clefts are not truthfunctional. Journal of Neurolinguistics 24, 320-337
    Drenhaus, H., Vasishth, S. & Zimmermann, M.
  • (2011). Focus and the Exclusion of Alternatives: On the Interaction of Syntactic Structure with Pragmatic Inference. Lingua 121(11), 1693-1706
    Skopeteas, S. & Fanselow, G.
  • (2011). Focus Marking Strategies and Focus Interpretation. Special issue of Lingua 121(11)
    Zimmermann, M. & Onéa , E. (eds.)
  • (2011). Focus Marking und Focus Interpretation. Lingua 121(11), 1651-1670
    Zimmermann, M. & Onéa, E.
  • (2011). Information Structure in African Languages: Corpora and Tools. Language Resources and Evaluation 45, 361-374
    Chiarcos, C., Fiedler, I., Grubic, M., Hartmann, K., Ritz, J., Schwarz, A., Zeldes, A. & Zimmermann, M.
  • (2011). Left peripheral focus: Mismatches between syntax and information structure. Natural Language and Linguistic Theory 29, 169-209
    Fanselow, G. & Lenertová, D.
  • (2012). Focus Marking in Bura: Semantic Uniformity matches syntactic heterogeneity. Natural Language and Linguistic Theory 30(4), 1061-1108
    Hartmann, K. & Zimmermann, M.
  • (2012). On the prosodic expression of pragmatic prominence: the case of pitch register lowering in Akan. Language and Speech 55, 331-359
    Kügler, F. & Genzel, S.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1177/0023830911422182)
  • (2012). Restrictions on addition: Children’s interpretation of the focus particles auch (‘also’) and nur (‘only’) in German. Journal of Child Language 39, 383-410
    Berger, F. & Höhle, B.
  • (2012). Stressed out! Accented discourse particles – the case of DOCH. In A. Aguilar et al. (eds.), Proceedings of Sinn und Bedeutung 16(1), 225-238. MIT Working Papers in Linguistics
    Egg, M. & Zimmermann, M.
  • (2013). Focus as prosodic alignment. Natural Language and Linguistic Theory 31(2), 683-734
    Féry, C.
  • (2013). Identifying Aboutness topics: two annotation experiments. Dialogue & Discourse 4(2), 118-141
    Cook, P. & Bildhauer, F.
  • (2013). What can new urban dialects tell us about internal language dynamics? The power of language diversity. In W. Abraham & E. Leiss (eds.), Dialektologie in neuem Gewand. Zu Mikro/Varietätenlinguistik, Sprachenvergleich und Universalgrammatik. Linguistische Berichte, Sonderheft 19, 207-245
    Wiese, H.
  • (2014). ANNIS3: A new architecture for generic corpus query and visualization. Digital Scholarship in the Humanities 2014
    Krause, T. & Zeldes, A.
    (Siehe online unter https://dx.doi.org/10.1093/llc/fqu057)
  • (2014). Context updating during sentence comprehension: The effect of aboutness topic. Brain and Language 137, 62-76
    Burmester, J., Spalek, K. & Wartenburger, I.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1016/j.bandl.2014.08.001)
  • (2014). How can the study of developmental disorders inform linguistic theory about information structure? In D. El Zarka & S. Heidinger (eds.), Methodological Issues in the Study of Information Structure 81, 69-86. [Special Issue] (Grazer Lin.)
    Stegenwallner-Schütz, M. & Adani, F.
  • (2014). Not only the apples: Focus sensitive particles improve memory for information-structural alternatives. Journal of Memory and Language 70, 68-84
    Spalek, K., Gotzner, N. & Wartenburger, I.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1016/j.jml.2013.09.001)
  • (2015). Constraining the derivation of alternatives. Natural Language Semantics
    Trinh, T. & Haida, A.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1007/s11050-015-9115-y)
  • (2015). Intonation influences processing and recall of left-dislocation sentences by indicating topic vs. focus status of dislocated referent. Language, Cognition and Neuro-science 30, 324-346
    Repp, S. & Drenhaus, H.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1080/23273798.2014.923104)
  • (2015). Markedness considerations in L2 Prosodic Focus and Givenness Marking. In E. Delais-Roussarie, M. Avanzi & S. Herment (eds.), Prosody and Language in Contact: L2 Acquisition, Attrition and Languages in Multilingual Situations, 7-27. Berlin: Springer
    Zerbian, S.
  • (2015). The role of givenness, presupposition, and prosody in Czech word order: An experimental study. Semantics & Pragmatics 8(3), 1-103
    Šimík, R. & Wierzba, M.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.3765/sp.8.3)
  • (2015). Variation in Information Structure with Special Reference to Africa. Annual Review of Linguistics (1), 155-178
    Güldemann, T., Zerbian, S. & Zimmermann, M.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1146/annurev-linguist-030514-125134)
 
 

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