SFB 632: Informationsstruktur: Die sprachlichen Mittel der Gliederung von Äußerung, Satz und Text
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Übergeordnetes Ziel des SFB632 war die genaue Untersuchung des Phänomens der Informationsstruktur und deren Verhältnis zur Grammatik natürlicher Sprachen. Informationsstruktur bezeichnet die Art und Weise, in der Inhalte einer Äußerung strukturiert, d.h. linear und hierarchisch organisiert sind. Die Forschung im SFB hob dabei auf sprachliche Äußerungen als Träger von Informationen ab; grundsätzlich können Informationen jedoch auch nichtsprachlich übermittelt werden. Derselbe informative Gehalt einer Äußerung, ihre Botschaft, kann in unterschiedlichen Kontexten auf verschiedene Weise sprachlich realisiert oder ‚verpackt‘ werden, wobei die sprachliche Verpackung u.a. abhängt von Kontext, Wissenstand, Aufmerksamkeit oder Diskurszielen der Diskursteilnehmer/innen. So kann z.B. der Aussagesatz Karl fährt morgen nach Berlin mit Akzent auf Berlin oder Karl realisiert werden, je nachdem, ob der Adressat am Reiseziel (Wohin?) oder an der Identität der/s Reisenden (Wer?) interessiert ist, und derselbe Inhalt kann z.B. in der Form Er fährt morgen nach Berlin oder Da fährt Karl morgen hin sprachlich realisiert werden, je nachdem, ob es im Diskurs an der Stelle um Karl oder um Berlin geht. Informationsstruktur ist demnach an der Schnittstelle von Grammatik und nicht-sprachlicher Kognition angesiedelt. Ausgehend von dem Befund, dass Informationsstruktur einerseits eine zentrale Rolle für sprachliche Kommunikation spielt, die Sprachen der Welt aber andererseits große Variabilität bei der Kodierung informationsstruktureller Kategorien aufweisen, ergaben sich die folgenden empirischen, methodischen und theoretischen Zielsetzungen für den SFB: Empirisch stand die systematische Erhebung von Daten zur sprachlichen Realisierung und Verarbeitung von Informationsstruktur im Vordergrund, und zwar vor allem in nichteuropäischen Sprachen, im Spracherwerb, im Sprachwandel und in Sprachkontaktsituationen. Methodologisch ging es um die Erhebung experimenteller (einschließlich psycho- und neurolinguistischer), spontansprachlicher und diachroner Daten zur Informationsstruktur und um die Entwicklung annotierter Mehrebenen-Korpora. Theoretisch ging es um ein besseres Verständnis der zugrundeliegenden Informationsstruktur-Kategorien und deren Verhältnis zu den grammatischen Kernkomponenten Phonologie, (Morpho-) Syntax und Semantik. Ein zentrales Ziel war daneben die Entwicklung einer konsistenten Terminologie. Die unterschiedlichen Zielstellungen wurden im SFB632 aus unterschiedlichen linguistischen und kognitionswissenschaftlichen Perspektiven (Grammatiktheorie, Typologie, Variationslinguistik, Korpuslinguistik, Sprachkontaktforschung, Computerlinguistik, Psycho-/Neurolinguistik, Psychologie) und in erfolgreichen disziplinübergreifenden Kooperationen verfolgt. Daneben gab es anwendungsorientierte Kooperationen mit außeruniversitären Partnern in der Entwicklung von Sprachsynthese-Software und im Bildungsbereich. Ein zentrales methodologisches Ergebnis ist die Entwicklung eines Fragebogens (QUIS) zur Erhebung von vergleichbaren und quantifizierbaren Daten zur Informationsstruktur in unterschiedlichen Sprachen. Komplementiert wird QUIS durch den Fragebogen QUISsem zur Erhebung fokussemantischer Daten. Ein zweites wichtiges Ergebnis ist die Entwicklung der ANNIS-Datenbank zur Annotation, Präsentation und Archivierung der im SFB erhobenen Daten. Die ANNIS-Datenbank, die auch über die Laufzeit des SFBs hinaus zugänglich ist, dient auch als Grundlage für quantifizierende Korpusstudien. Drittens wurden psycholinguistische offline- und online-Experimente (ERP, Eye-Tracking, Acting Out, Recall, u.a.) vor allem zur Untersuchung der Rolle von Informationsstruktur in Sprachverarbeitung (Verständnis und Produktion) und Spracherwerb entwickelt und erfolgreich eingesetzt. In empirischer Hinsicht ist ein Hauptergebnis die Erhebung von vergleichbaren Daten zur Informationsstruktur in 17 typologisch nicht verwandten Sprachen weltweit mithilfe des QUIS, ergänzt durch unterschiedliche weitere Elizitierungsmethoden. Einige dieser Sprachen (z.B. Niue, Mwang, Prinmi, Konkani) bzw. Varietäten (Kiezdeutsch, Türkischdeutsch) wurden zum ersten Mal in Hinblick auf informationsstrukturelle Eigenschaften untersucht. Zusätzlich wurden im SFB eine Vielzahl an phonetisch-phonologischen, morpho-syntaktischen und semantischen Einzelstudien zur Informationsstruktur europäischer und nichteuropäischer Sprachen durchgeführt, wobei der empirische Fokus bei den nicht-europäischen Sprachen auf Westafrika (Tschadisch, Gur, Kwa, Bantu), Mittelamerika (Maya, Teribe) und (Süd)Ostasien (Mandarin, Japanisch, Vietnamesisch) lag , während bei den Untersuchungen zum Deutschen auch der informelle Sprachgebrauch außerhalb des Standarddeutschen fokussiert wurde. Komplettiert wurden diese durch Untersuchungen zum Spracherwerb in mehreren europäischen Sprachen (Dt., Engl., Frz., Finn.), zum Sprachwandel, und durch psycho-/neurolinguistische Studien zur Verarbeitung von sprachlich und nichtsprachlich eingebetteten und von informationsstrukturell markierten Sätzen. In ihrer Gesamtheit tragen die empirischen Studien zu einem wesentlich besseren theoretischen Verständnis von Informationsstruktur bei, welches über den SFB hinaus zur Modellbildung und als Grundlage für weitere Forschungen in vielen Fachbereichen (Afrikanistik, Romanistik, hist. Sprachwissenschaft, Sprachkontaktforschung, Spracherwerb, Allg. Sprachwissenschaft, Computerlinguistik) verwendet wird. Informationsstruktur besteht aus drei unabhängigen aber miteinander interagierenden Dimensionen: Gegeben-Neu, Fokus-Hintergrund, Topik-Kommentar. Sprachen und Varietäten unterscheiden sich darin, welche dieser Dimensionen grammatisch markiert werden (können), und welche grammatische Strategie (Syntax, Phonologie, Morphologie) zur Markierung verwendet wird. Ein weiteres wichtiges Ergebnis ist, dass IS-Kategorien wie z.B. Fokus, anders als häufig angenommen, in vielen Sprachen nicht obligatorisch durch strukturelle Prominenz angezeigt werden. Die sich daraus ergebende Optionalität und Unterspezifizierung im sprachlichen Ausdruck von Informationsstruktur hat Auswirkungen auf die theoretische Konzeption der Schnittstelle von Informationsstruktur und Grammatik. Einerseits ist Informationsstruktur viel stärker durch nicht-sprachliche kognitive und kommunikative Faktoren wie z.B. Höreraufmerksamkeit und –erwartung bedingt als in vielen linguistischen Ansätzen angenommen. Dieser Befund unterstreicht die Wichtigkeit von psycho- und neurolinguistischen Ansätzen in der Informationsstrukturforschung. Andererseits deutet das häufige Fehlen einer expliziten Informationsstrukturmarkierung auf eine eher indirekte Beziehung zwischen Informationsstruktur und der grammatischen Kernkomponente der Syntax hin. Dieses Ergebnis widerspricht prominenten Syntaxtheorien und wird die theoretischen Debatten um Informationsstruktur und Grammatik auch in Zukunft nachhaltig beeinflussen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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