Bibliotheken und Archive im Verbund mit der Forschung: Schriftlichkeit in süddeutschen Frauenklöstern
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die mittelalterliche Überlieferung von fünf ausgewählten süddeutschen Frauenklöstern (Dominikanerinnenkloster Altenhohenau, Pütrich-Regelhaus in München, Klarissenkloster St. Jakob am Anger, München, Benediktinerinnenkloster Neuburg a. Donau, Birgitten-Doppelkloster Altomünster) wurde im Rahmen des Verbundprojekts in digitalen Reproduktionen im Internet zugänglich gemacht, archivalisch und bibliothekarisch erschlossen, wissenschaftlich ausgewertet und in ihren historischen Kontext eingeordnet. Als ein innovativer Ansatz wurden die Urkunden und Amtsbücher der Klöster direkt mit den literarischen und liturgischen Quellen verknüpft und interpretiert. Dieser sammlungsübergreifende methodische Zugriff ermöglicht es, die gesamte schriftliche Überlieferung, die als Folge der Säkularisation auf das Bayerische Hauptstaatsarchiv (BayHStA) und die Bayerische Staatsbibliothek (BSB) in München aufgeteilt sind, in den Blick zu nehmen und die religiösen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen oder Neuansätze in ihren vielfältigen Interdependenzen herauszuarbeiten. Dabei wurde jeweils der einstige Gebrauchs- und Funktionskontext der Codices in den Frauenklöstern rekonstruiert, wodurch die zentrale Rolle von Schriftlichkeit auf der kognitiven, organisatorischen und Reflexionsebene erst erkennbar wurde. Als Voraussetzung erarbeitete das BayHStA zunächst provenienzreine Bestände aus den älteren Pertinenzbeständen (auch des Staatsarchivs Augsburg), wobei die Quellencorpora im Rahmen der Projektarbeit durch Neufunde bzw. Provenienzzuweisungen ergänzt werden konnten. Auch in der BSB wurden die literarischen und liturgischen Handschriften und W iegendrucke der fünf Klöster provenienzorientiert tiefenerschlossen. Eine Herausforderung bestand darin, den Erschließungs- und Digitalisierungsprozess zeitlich mit der wissenschaftlichen Auswertung zu koordinieren und die projektbedingten Forschungsfragen mit den allgemeinen Kategorien der Erschließung gemäß den etablierten archivarischen und bibliothekarischen Verfahren in Übereinstimmung zu bringen. Hier erwies sich die intensive und konstruktive Zusammenarbeit der drei Projektpartner als entscheidend, die eine gegenseitige Akzeptanz der institutionsspezifischen Bedürfnisse und Anforderungen förderte und zugleich ein Synthese der jeweiligen Ergebnisse ermöglichte. Das in der BSB vorhandene Quellenmaterial umfasste vor allem lateinische Handschriften aus Altenhohenau und Altomünster, die nach den DFG-Richtlinien Handschriftenkatalogisierung neu katalogisiert wurden, soweit nur Beschreibungen in den veralteten Katalogen des 19. Jahrhunderts vorlagen. Dabei wurden insbesondere liturgische Handschriften sowie Codices mit Buchmalerei einer vertieften Analyse unterzogen. Das BayHStA legte nach der Bestandsbildung den Schwerpunkt auf die Verzeichnung der Archivalien in der Archivdatenbank FAUST. Für bisher gänzlich unverzeichnete Urkunden fand eine Neuregestierung statt. In inhaltlicher Hinsicht wurden sowohl die Urkundenregesten (Archivregesten) als auch die Erschließungsinformationen zu Amtsbüchern und Akten den Projektinteressen entsprechend ausführlich und über das in den jeweiligen Erschließungsrichtlinien der Staatlichen Archive Bayerns standardisierte Maß hinaus gestaltet. Die Festlegung der Kriterien erfolgte in enger Abstimmung mit den Projektpartnern. Das gesamte Quellenmaterial wurde digitalisiert und ist nun sowohl in den institutionsspezifischen Portalen (Monasterium.net, Digitale Bestände der Staatlichen Archive Bayerns, Digitale Sammlungen der BSB, Bayerische Landesbibliothek Online) als auch über eine gemeinsame Projekthomepage zugänglich. Für die Präsentation und Ordnung des umfangreichen und überlieferungsbedingt heterogenen Quellenmaterials auf der Projekthomepage wurde ein neuer methodischer Zugriff erarbeitet: Die schriftliche Überlieferung der einzelnen Konvente wurde gemäß ihrem ursprünglichen Funktionszusammenhang geordnet und ist mit dem Digitalisat, der Beschreibung und allen weiteren Informationen direkt zugänglich. Die literarischen Bestände sind dafür in Literaturgattungen eingeteilt worden, die sich an den Sachgruppen vergleichbarer mittelalterlicher Bibliotheken orientieren. Diese Rubriken sind für alle fünf Klöster gleich, so dass Schwerpunktsetzungen, Lücken bzw. nicht vorhandene Sachgruppen auf einen Blick erkennbar werden. Die archivisch überlieferten Amtsbücher wurden typologisiert, wobei die zuvor kaum systematisch erforschten Wirtschaftsbücher zu den jeweiligen Klosterämtern und der Konventsgeschichte in Beziehung gesetzt werden. Eine Erfassung der Schreiberinnen und des Klosterpersonals erhellt die enge Verflechtung zwischen den religiösen Aufgaben, der konventsinternen Organisation und den ökonomischen Anforderungen. Durch die Zusammenschau der archivalischen und literarischen Quellen wird eine Reduzierung des Wissensbegriffs auf die klassischen Felder Literatur, Theologie und Philosophie vermieden, die der besonderen Lebenswelt der Nonnen und ihren vielfältigen Anforderungen der Organisation des Klosterlebens aus der Klausur nicht gerecht wird. Die Fähigkeiten und das Innovationspotential, das die geistlichen Frauen bei der schriftlichen Bewältigung rechtlicher und ökonomischer Herausforderungen und in der Bewahrung des kulturellen Gedächtnisses der Gemeinschaft entwickelten, stellten weite und ebenso wichtige Wissensfelder dar. Diese speziellen Kompetenzen sind deshalb bislang kaum in den Blick der Forschung geraten, weil sie nicht mit der Geschichte der Konvente und ihren Bibliotheken, den Handschriften und Inkunabeln in Verbindung gebracht wurden.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Schreib die Reformation von Munchen gancz daher. Teiledition und historische Einordnung der Nürnberger Klarissenchronik (um 1500) (Quellen und Forschungen zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg 37), Nürnberg 2012
Lena Vosding (Hrsg.)
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Klosterfrauen und das Buch. In: Akademie aktuell, 2010, Heft 2, S. 23-25
Bettina Wagner
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Erschließung von Urkunden und Amtsbüchern im Rahmen des DFG-Projekts "Schriftlichkeit in süddeutschen Frauenklöstern", in: Nachrichten aus den Staatlichen Archiven Bayerns Nr. 61/Dezember 2011, S. 14f.
Peter Urbanek
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Abschluss des DFG-Projekts "Schriftlichkeit in süddeutschen Frauenklöstern", in: Nachrichten aus den Staatlichen Archiven Bayerns Nr. 62/Juli 2012, S. 20f.
Michael Unger