Detailseite
Projekt Druckansicht

Musik in Bewegung: Tanzkulturen des 19. Jahrhunderts

Fachliche Zuordnung Theater- und Medienwissenschaften
Förderung Förderung von 2008 bis 2012
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 58897845
 
Erstellungsjahr 2012

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Am Beispiel von Paris, jener (seit Walter Benjamin) „Hauptstadt des 19. Jahrhunderts“ und Passagenstadt mit vielfältigen „Schwellenräumen“, wurden Transferprozesse zwischen an der Opéra inszenierten Balletten (1830–1870), sich zeitgleich herausbildenden urbanen Tanzkulturen und einer auf Ballettarrangements zurückgreifenden Unterhaltungsmusik bzw. tänzerisch geprägten Konzertmusik in den Blick genommen. Von besonderem Interesse waren in diesem Zusammenhang Grenzüberschreitungen und daraus resultierende „Schwellenerfahrungen“, vor allem die durch Tanz beziehungsweise im Kontext gesellschaftlicher Tanzereignisse ausgelösten Bewusstseinsveränderungen bzw. Bewusstseinsentgrenzungen bis hin zu Bewusstseinsverlusten, die gleichermaßen Innenräume der im Theater inszenierten Bewegungstopologien abstecken wie sie „andere“ – heterotopische und nicht selten katastrophische – Bewegungen im Stadtraum widerspiegeln. Vor diesem Hintergrund wurden nicht nur die engen Verflechtungen zwischen Theaterproduktionen und unterschiedlichen Ebenen kulturellen Handelns im Stadtraum offensichtlich, sondern es gewannen auch die seinerzeit auf der Bühne neu erprobten Wirkungsstrategien und mit ihnen korrespondierende Wahrnehmungsästhetiken als Reflektionen urbaner Erfahrungswirklichkeiten an Verständlichkeit. Vor allem konnten auf dieser Basis verschiedene Modi eines Hörens und Sehens von Bewegungen ermittelt werden: Differenziert wurde dabei zwischen einem kinetischen Hören, das Musik „in“ (aktiver) Bewegung rezipiert und sie vor allem in ihrer Zeitlichkeit (Rhythmik) wahrnimmt, und einem kinästhetischen Hören, das Musik vor allem „als“ (körperliche) Bewegung – auf Körperbewegungen zurückgehende, wenn auch nicht sichtbare, so doch hörbare Bewegung – im Raum wahrnimmt, gleichsam „choreographisch hörend“ erlebt. Dieses kinästhetische Hören muss nicht unbedingt (kann aber) mit eigener Bewegungsaktivität bzw. einem Sehen von (Körper-)Bewegungen unmittelbar korrespondieren. Entscheidend ist, dass durch diesen Hörmodus Bewegungsvorstellungen bzw. imaginäre Bewegungen aktiviert werden, die wiederum emotionale Wirkungen auslösen. Folglich stehen jene Ballettarrangements, die ausschließlich für eine hörende Rezeption bestimmt sind, an einer wahrnehmungsästhetisch besonders aufschlussreichen „Schwelle“ zwischen hör- und sichtbaren Bewegungen: Sie gehen auf sichtbaren Bewegungen zurück, transformieren sie in hörbare und regen zu einem imaginären Sehen bzw. emphatischen Nachvollzug von Bewegungen in der Imagination an. Als Bewegungsheterophonien runden sie das in diesem Projekt entworfene Konzept einer kulturwissenschaftlich orientierten Tanz(musik)historiographie ab, die sich zum Ziel gesetzt hat, Ursprünge moderner Tanz(musik)kulturen offen zu legen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Bühnentanz der Händelzeit. In: Händels Opern, Teilbd. 1, hrsg. von Arnold Jacobshagen und Panja Mücke, Laaber: Laaber Verlag 2009 (Händel-Handbuch Bd. 2), S. 180–195.
    Stephanie Schroedter
  • Tanz im Musiktheater. Tanz als Musiktheater. Bericht eines internationalen Symposions über Beziehungen von Tanz und Musik im Theater, Würzburg: Königshausen & Neumann 2009, 492 S. (Thurnauer Schriften zum Musiktheater, Bd. 22).
    Thomas Betzwieser, Andreas Münzmay, Anno Mungen Stepahnie Schroedter
  • Threshold Spaces: Movement Topologies in Dance Cultures of the 19th Century. In: Topographies: Sites, Bodies, Technologies. Proceedings, 32nd Annual Conference of the Society of Dance History Scholars (SDHS), hrsg. von Marion Kant und Sarah Davies Cordova, Stanford University und ODC Commons/San Francisco 2009, S. 215–219.
    Stephanie Schroedter
  • Dance Spectacles and Spectacular Dances between the July Monarchy and Second Empire. in: Dance and Spectacle. Proceedings, 33rd Annual Conference of the Society of Dance History Scholars, hrsg. im Auftrag der SDHS, University of Surrey/Guildford und The Place/London 2010, S. 291–306.
    Stephanie Schroedter
  • Tanztheater und transmediales Musiktheater. Chancen und Grenzen musikchoreographischer Arbeit. In: Mitten im Leben. Musiktheater von der Oper zur Everyday-Performance mit Musik, hrsg. von Anno Mungen, Würzburg: Königshausen & Neumann 2010 (Thurnauer Schriften zum Musiktheater Bd. 23), S. 211–226.
    Stephanie Schroedter
  • Der Ballsaal in der Oper und die Oper im Ballsaal. Populäre Tanz- und Musikkulturen des 19. Jahrhunderts. In: Jenseits der Bühne. Bearbeitungs- und Rezeptionsformen der Oper im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. von H.-J. Hinrichsen und K. Pietschmann, Kassel: Bärenreiter 2011 (Schweizer Beiträge zur Musikforschung, Bd. 15), S. 140–160.
    Stephanie Schroedter
  • Wer verleiht den Caractères ihre ,Caractères‘? – Überlegungen zu dem Zusammenspiel von Komponist, Choreograph und Tänzerinterpret am Beispiel der Caractères de la Danse (1715). In: Per ben vestir la virtuosa – Die Oper des 18. und frühen 19. Jh. im Spannungsfeld zwischen Komponisten und Sängern, hrsg. von D. Brandenburg und T. Seedorf, Schlingen: Argus 2011 (Forum Musikwissenschaft, Bd. 6), S. 211–232.
    Stephanie Schroedter
  • Bewegungen zwischen Hören und Sehen. Denkbewegungen über Bewegungskünste. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2012, 633 S.
    Stephanie Schroedter
  • De nouvelles danses pour le vieux Monsieur B. – Musique de J.-S. Bach avec chorégraphies et improvisations de la fin du XXe siècle. Les Cahiers de la Société Québécoise de recherche en musique, vol. 13. 2012, nos. 1–2 (Danse et musique – Dialogues en mouvement), p. 105–116.
    Stephanie Schroedter
    (Siehe online unter https://dx.doi.org/10.7202/1012356ar)
  • Neues Hören für ein neues Sehen von Bewegungen: Von der Geburt eines zeitgenössischen Balletts aus dem Körper der Musik – Annäherungen an Martin Schläpfers musikchoreographische Arbeit. In: Bewegungen zwischen Hören und Sehen. Denkbewegungen über Bewegungskünste, hrsg. von Stephanie Schroedter, Würzburg: Königshausen & Neumann 2012, S. 43–110.
    Stephanie Schroedter
  • Zwischenklänge: Tanzmusik dies- und jenseits szenischer Darstellungen – Skizzen zu einer tänzerischen Hörpoetik des 19. Jahrhunderts. In: Auftakte und Nachklänge romantischer Musik, hrsg. von Walter Hinderer, Würzburg: Königshaus & Neumann 2012 (Stiftung für Romantikforschung, Bd. 56), S. 135–166.
    Stephanie Schroedter
  • Ballett und Tanz. In: Verdi-Handbuch, hrsg. von Anselm Gerhard und Uwe Schweikert, Kassel: Bärenreiter, 2013, pp 298-309.
    Stephanie Schroedter
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-476-05186-8_19)
  • Tanz. In: Das Wagner Lexikon, hrsg. i. A. des Forschungsinstituts für Musiktheater der Universität Bayreuth von , Laaber: Laaber-Verlag 2013, S. 714–717.
    Daniel Brandenburg, Rainer Franke, Anno Mungen
  • Bewegungstopologien Pariser Tanz(musik)kulturen des 19. Jahrhunderts: Schwellen-Räume zwischen Bühne, Ballsaal und musikalischem Salon. In: Musiktheater im Fokus. Gedenkschrift Heinz Becker, hrsg. von Sieghart Döhring und Stefanie Rauch, München: Studiopunkt-Verlag, 2014, S. 621–644.
    Stephanie Schroedter
  • Verhängnisvolle Bälle und Tanz auf dem Glatteis – (prä-) katastrophische Tanzszenen in Giacomo Meyerbeers Grands opéras und Opéras comiques. In: Europa war sein Bayreuth: Giacomo Meyerbeers Leben und Werk (Bericht eines gleichnamigen Symposions an der Deutschen Oper Berlin anlässlich der Neuinszenierung von Opernkompositionen Meyerbeers), hrsg. von J. Königsdorf und C. A. Roesler. Berlin: Deutsche Oper 2015, S. 201–228.
    Schroedter, Stephanie
  • La Révolte des Fées. Inszenierungen von Weiblichkeit im Bühnentanz des 19. Jahrhunderts. In: Bühnenrollen und Identitätskonzepte – Karrierestrategien von Künstlerinnen im Theater des 19. Jahrhunderts, hrsg. von Nicole K. Strohmann und Antje Tuma. (Beiträge aus dem Forschungszentrum Musik und Gender Bd. 5), Hannover: Wehrhahn Verlag 2016, S. 277–311.
    Schroedter, Stephanie
  • Dance in Jacques Offenbach’s Musical Theatre: Between Imagination, Improvisation and Choreography. In: Musical Theatre in Europe 1830–1945, hrsg. von Michela Niccolai und Clair Rowden. (Speculum musicae Bd. 30), Turnhout: Brepols 2017, S. 91–111.
    Schroedter, Stephanie
  • Paris qui danse. Bewegungs- und Klangräume einer Großstadt der Moderne. Würzburg: Königshausen & Neumann 2018, 835 S., Habilitationsschrift, ISBN: 978-3-8260-6253-7.
    Schroedter, Stephanie
 
 

Zusatzinformationen

Textvergrößerung und Kontrastanpassung