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Subjektive Konstruktion von Kulturlandschaft in der Alltagspraxis

Antragstellerin Dr. Sabine Tzschaschel
Fachliche Zuordnung Humangeographie
Förderung Förderung von 2008 bis 2012
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 61478193
 
Erstellungsjahr 2012

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Konstruktionen von Kulturlandschaft werden im Kontext konstruktivistischer und handlungstheoretischer Ansätze in der geographischen Forschung meist an Eliten und steuerungspraktischen Fragestellungen ausgerichtet. In diesem Projekt hingegen wurden subjektive Konstruktionen von Kulturlandschaft untersucht, die Individuen aus ihrer alltagsweltlichen Perspektive vornehmen, indem sie Kulturlandschaft auf unterschiedliche Weise mit Bedeutungen belegen. Als wesentlicher Bestandteil der Umwelt des Menschen stellt Kulturlandschaft oder – alltagssprachlich verkürzt – Landschaft einen selbstverständlichen und unhinterfragten Teil der Alltagswelt dar. Mit Hilfe von drei Fallstudien in Landschaften mit unterschiedlicher Veränderungsdynamik und qualitativen Interviews mit dort zufällig angetroffenen Bewohnern und Passanten wurden „Konzepte von Kulturlandschaft“ und grundlegende Prinzipien ihrer subjektiven Konstruktion als Teil der alltäglichen Lebenswelt ermittelt. Mit den Interviews konnte gezeigt werden, dass Bedeutungszuschreibungen auf Landschaft erwartungsgemäß eng mit stabilen Vorstellungen von einer vorindustriellen, ländlichen Idylle verbunden und weniger am dynamischen Landschaftswandel der Moderne orientiert sind. Beschrieben mit Topoi wie Natur, Schönheit oder Ruhe und mit Adjektiven wie „schön“, „grün“ oder „herrlich“ bzw. negativ formuliert als Antipode zu Stadt, Lärm, Verkehr und Dreck, repräsentieren die ermittelten subjektiven Konstruktionen ausnahmslos traditionelle Ideen von einem arkadischen Ideal. Solche historisch-traditionellen Bezüge bedeuteten jedoch nicht, dass das Individuum nicht in der Lage ist, Neuauslegungen vorzunehmen, wenn es die Umstände erfordern, wie am Beispiel von Infrastruktureinrichtungen gezeigt werden kann, die zur modernen Lebenswelt gehören (Autobahnen, Windkraftanlagen, Brücken). Das Individuum ist dann gezwungen, Erwartungen und Ansprüche an die gegebenen Bedingungen anzupassen und nimmt neue Elemente in den Kanon der als typisch für eine Landschaft bezeichneten Elemente auf. Dazu können beispielsweise Bergbaurelikte ebenso zählen wie Viadukte aus früheren Jahrhunderten, die als Bestandteile der heutigen Landschaft geschätzt werden. Es konnte weiterhin gezeigt werden, dass das Individuum seiner Umwelt Bedeutungen zuschreibt, die lebensweltlich nicht nur aufgrund kognitiver Wahrnehmung des Gegenstands, respektive seiner einzelnen Elemente, sondern ebenso ganzheitlich über das Empfinden der Umgebungs- bzw. Erlebnisqualitäten eines Raumes entstehen. Untrennbar von der kognitiven Wahrnehmung wird Landschaft durch Emotionen und Gefühle konstituiert, die die Befragten vor allem mit einer Wohlfühlqualität verbinden. Grundsätzlich werden mit dem Wort „Landschaft“ bestimmte Vorstellungen verknüpft, die positiv konnotiert sind, weil sie das Schöne, Idyllische oder Harmonische symbolisieren. Es handelt sich bei „Landschaft“ offensichtlich um einen Ausdruck, bei dem bestimmte Wertungen, Erwartungen und Ansprüche an den Gegenstand mit gedacht werden, sogar mitgedacht werden müssen. Diese Bedeutungen erscheinen damit selbstverständlich und unhintergehbar. So wird die Wohlfühlqualität eng mit dem Wort „Landschaft“ verbunden und gleichzeitig eingefordert. Zudem wird Landschaft in der Regel als ein konkreter Ort gedacht, der vorrangig an Freizeit- oder Erholungsfunktionen gebunden ist und damit als Gegenentwurf zum alltäglichen Wohnen und gegebenenfalls Arbeiten fungiert. Andere Funktionen von Landschaft, wie beispielsweise die des Produktionsraumes für Agrarerzeugnisse, Energie, gewerbliche Produkte oder die des Verkehrsraumes, werden nur dann mit Bedeutungen belegt, wenn sie die eigene alltägliche Lebenswelt berühren. Alltagsweltliche Selbstverständlichkeiten, die dadurch entstehen, dass Wertungen, Erwartungen und Ansprüche an einen Gegenstand eng mit der ihm jeweils zugeschriebenen Funktion verbunden sind, gilt es grundsätzlich stärker sozialwissenschaftlich zu berücksichtigen, wenn beispielsweise die begriffliche Vielfalt eines Gegenstands wie Landschaft erklärt werden soll. Ebenso sollte bei der Untersuchung der Aushandlung öffentlicher Belange zwischen Entscheidungsträgern und Adressaten dieser Entscheidungen reflektiert werden, dass bestimmte Sachverhalte und deren Bedeutungen unhintergehbar miteinander verknüpft sind.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2010): The values of landscape in everyday life. In: Lo Squaderno 4, H. 18, S. 37-39
    Micheel, M.
  • (2011): Environment in the human perception: geographical aspects. In: Geography, Environment, Sustainability. Moscow State University – Russian Academy of Science, Moscow. Nr. 4, S. 48-56
    Dushkova, D., Lentz, S., M. Micheel, M., Evseev, A. u. B. Kochurov
  • (2012): Alltagsweltliche Konstruktionen von Kulturlandschaft. In: Raumforschung und Raumordnung 70, H. 2, S. 107-117
    Micheel, M.
  • (2012): Subjective construction of landscapes in everyday life. In: Proceedings of the th 24 Session of PECSRL: Living in Landscapes: Knowledge, Practice, Imagination. Latvijas Zinatnu Akademijas Vestis 66, Nr. 3, Riga. S. 184-194
    Micheel, M.
  • (2012): Wahrnehmungsperspektiven auf suburbane Kulturlandschaften. In: Schenk, W., M. Kühn, M. Leibenath u. S. Tzschaschel (Hrsg.): Suburbane Räume als Kulturlandschaften. Hannover (= ARL Forschungs- und Sitzungsberichte 236), S. 111-125
    Tzschaschel, S.
 
 

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