Degersee: Holozäne Schichtabfolgen und prähistorische Seeufersiedlungen am Rand der Pfahlbauökumene
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Von 2008 bis 2011 wurden am Degersee im Westallgäu archäologische und naturwissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt. Das Forschungsvorhaben zielte auf die Verknüpfung archäologischer Beobachtungen in prähistorischen Seeufersiedlungen mit paläolimnologischen und palynologischen Befunden aus Seesedimenten. Die archäologischen Fundstellen wurden im Zuge von insgesamt 21 Arbeitswochen umfassenden Geländeaktionen durch Forschungstaucher dokumentiert. Es handelt sich um zwei Pfahlbaustationen (DeI und DeII) mit noch erhaltenen Kulturschichten, die jeweils an der Spitze ehemaliger Geländesporne liegen. Radiometrische und dendrochronologische Datierungen weisen auf Belegungen im 40., 38., 33. und 30. Jahrhundert v. Chr. hin. Die jeweiligen Fundinventare lassen Vergleiche mit Schussenried / Hornstaad / Lutzengüetle (DeI KS1), mit Pfyner / Pfyn-Altheimer Materialien (DeI KS2), mit früh-Horgener Fundstellen (DeII), sowie mit spät-Horgener Inventaren (DeI KS3) zu. Zugleich wird deutlich, dass die Degerseestationen ebenso eng an die Fundlandschaft des Alpenrheintals anzuschließen sind wie an das Siedelgebiet im Federseebecken und an die Kulturzentren am westlichen Bodensee. Importfunde belegen die Anbindung an Fernhandelsnetze und an Verkehrswege über die Alpen. Wirtschaftsdaten liegen vornehmlich für DeI KS1 vor, wo mithilfe archäobotanischer, palynologischer, anthrakologischer, pedologischer und archäozoologischer Daten die bäuerliche Subsistenzwirtschaft näher beschrieben werden kann. Geringe Haustieranteile und große Mengen Wild- und Sammelpflanzen geben Hinweise auf eine starke wildbeuterische Wirtschaftskomponente. Die archäobotanischen Ergebnisse weisen darauf hin, dass alle Dörfer ganzjährig bewohnt waren. Eine Tragfähigkeitsanalyse und eine Modellierung der Bodenund Vegetationsverhältnisse entwirft ein Bild der Landschaftsnutzung. Die Untersuchung der Seesedimente erfolgte mehrgleisig über sedimentologische und palynologische Untersuchungen und dies sowohl on-site wie off-site. Alle Beobachtungen konnten in eine gemeinsame, über AMS-Datierungen und Warvenzählungen gesicherte Chronologie eingehängt werden. Dabei wurde deutlich, dass bereits bekannte, zyklisch verlaufende Veränderungen der Pollenspektren als insgesamt mindestens sieben Haupt-Waldzyklen, die wiederum in Nebenzyklen unterteilt werden, aufzufassen sind. Am Beispiel von DeI KS1, für die umfangreiche archäobotanische und palynologische on-site-Daten vorliegen, lässt sich zeigen, dass Auslöser dieser Vorgänge jeweils bäuerliche Siedler waren, die den natürlichen Buchenwald mit Feuer rodeten, die Landschaft für einige Zeit (30-130 Jahre) mit wechselnder Intensität bewirtschafteten und sie möglicherweise auch wieder für kurze Zeit verließen. Insgesamt zeigt sich in der Abfolge zahlreicher solcher Subzyklen eine große Kontinuität der Besiedlung, in der die Seeufersiedlungen nur eine sporadische Rolle spielten. Damit gelingt für das Jung- und Endneolithikum in einer Kleinlandschaft Südwestdeutschlands erstmals der detaillierte Nachweis eines pulsierenden Siedlungsgeschehens auch für die Phasen, in denen keine Seeuferbelegung nachzuweisen ist. Das Aufund Abschwellen des Nutzungsdruckes auf die Degersee-Landschaft (Hauptzyklen) geht mit der demographischen Dynamik am westlichen Bodensee und in Oberschwaben einher. Der Abgleich der palynologischen, sedimentologischen und archäologischen Daten mit Klimaproxies (Delta 14C) lässt Zusammenhänge mit dem Klimagang erkennen. So sind die initialen Waldauflichtungen der Hauptzyklen, die vor allem durch Schwankungen der Buchenkurve angezeigt werden, konsistent mit potenziellen - durch niederes Delta 14C und tiefen Seespiegeln indizierte - Klima-Warm -Phasen verknüpft. Die Subzyklen verlaufen hingegen unabhängig. Schwankende Zusammensetzungen der Seesedimente, die mit stratigraphischen Beobachtungen auf Seespiegelschwankungen hinweisen, sind mit den Klimadaten nicht durchgängig in Übereinstimmung zu bringen. Eine handfeste Überraschung stellt die Entdeckung dar, dass das Untersuchungsgebiet im Westallgäu – weitab von den Altsiedellandschaften - nach übereinstimmenden archäologischen und palynologischen Befunden bereits in der Jüngeren Linearbandkeramik in Kultur genommen wurde, um dann durchgehend bewirtschaftet und schließlich ab der Frühen Bronzezeit nachhaltiger geöffnet zu werden. Im Ganzen eröffnet sich damit ein Datenarchiv, das für die neolithischen bis metallzeitlichen Besiedlungsvorgänge im Raum Bodensee – Oberschwaben – Allgäu ein großes Potenzial darstellt. Die Entdeckung von DeII im Rahmen des Projekts und Hinweise auf weitere Fundplätze in benachbarten Seen eröffnen neue Forschungsansätze zum vertieften Verständnis der Siedlungskammer. Mit den vorliegenden Datensätzen können siedlungsarchäologische (Verhältnis von Feuchtboden- zu Mineralbodensiedlungen), wirtschaftsarchäologische (Rolle von Feuer in der stein- und bronzezeitlichen Subsistenzwirtschaft) und paläoklimatische (Verhältnis von Klimagang, Demographie und Kulturentwicklung) Fragen verfolgt werden. In der Summe der Befunde, insbesondere unter Einbeziehung der Warvenzählung, wird eine hohe zeitliche Präzision und lückenlose Auflösung der Daten erreicht, die auch im Bereich der zirkumalpinen Pfahlbauarchäologie bislang einzigartig ist.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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An Early Bronze Age Logboat from Degersee, Southern Germany. International Journal for Nautical Archaeology 38, 2009, 3-12
M. Mainberger
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Forschung am Rand der Pfahlbauökumene – Unterwasserarchäologie im Degersee, Stadt Tettnang, Bodenseekreis. Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 2008 (2009), 52-55
M. Mainberger, H. Schlichtherle
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Das DFG-Projekt “Degersee”: Fortgang der Arbeiten und neue Entdeckungen. Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 2009 (2010), 69-74
U. Maier, M. Mainberger, J. Merkt, A. Kleinmann, R. Vogt, S. Späth, T. Baum
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Grenzland? Zum Naturraum und zu den Anfängen bäuerlicher Kultur zwischen Argen und Bodensee. In: I. Matuschik et al. (Hrsg.), Vernetzungen. Aspekte siedlungsarchäologischer Forschung. Festschrift f. H. Schlichtherle zum 60. Geburtstag, Freiburg i. Br. 2010, 331-344
M. Mainberger, C. Mainberger
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(2011). Pile-dwellings at lake Degersee (SW-Germany) – a challenge for dendrochronology. In: Maaten-Theunissen van der, M., Spiecker, H., Gärtner, H., Heinrich, I. & Gerhard Helle (eds.) TRACE - Tree Rings in Archaeology, Climatology and Ecology, Vol. 9, 114-121
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