Zur Legitimität der Gleichheit aller Bürger der Europäischen Union. Eine komparative Umfrage
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Europäische Union erlebt seit Beginn der Finanzkrise 2008 eine ihrer schwersten Krisen. Die Vielzahl an fiskalpolitischen Hilfsmaßnahmen an überschuldete Mitgliedsländer scheint paradoxerweise zu einer weiteren Vertiefung der EU zu führen. Während die Systemintegration der EU damit weiter voranschreitet, ist unklar, ob die EU auch in sozialer Hinsicht ausreichend legitimiert ist und integriert ist. Sozialintegration wird in der EU, anders als in den Nationalstaaten, nicht vorrangig über Umverteilung, sondern über die Zubilligung von europäischen Rechten der Chancengleichheit hergestellt. In Aufnahme einer bekannten Terminologie von T.H. Marshall unterscheiden wir drei Rechte für EU-Bürger: Alle Bürger der Mitgliedsländer haben a) Zugang zu allen europäischen Arbeitsmärkten, b) damit verbunden zu den jeweiligen nationalen sozialen Sicherungssystemen und c) zur politischen Partizipation auf kommunaler Ebene, egal, in welchem EU-Land sie sich gerade aufhalten. Mit der Zubilligung dieser Rechte ist die Idee der europäisierten Chancengleichheit zum EU-weiten Rechtsanspruch geworden. Ziel des Projekts war es, zu untersuchen, ob die politisch institutionalisierte Idee der europäisierten Chancengleichheit auch bei den Bürgern Zustimmung findet. Diesbezüglich sprechen wir von einem sozial integrierten Europa, wenn drei Bedingungen erfüllt sind: a) die Bürger billigen sich wechselseitig gleiche Rechte im Zugang zum jeweiligen Nationalstaat in den drei Rechtsbereichen zu, b) die diese Idee der europäisierten Chancengleichheit ablehnenden Minderheiten bilden keine Basis einer parteipolitisch mobilisierbaren Konfliktlinie und c) Bürger, die die europäisierte Chancengleichheit akzeptieren, folgen diesen Einstellungen auch in der Alltagspraxis. Diese Fragen wurden in einer standardisierten Umfrage in den drei EU- Mitgliedsländern Deutschland, Polen und Spanien und einem Beitrittskandidat (Türkei) untersucht (N = 4.000). Die Befunde zeigen – für uns teilweise durchaus überraschend –, dass eine deutliche Mehrheit von bis zu 80 % in den drei EU-Mitgliedsländern EU-Ausländern generell sowie den Bürgern der jeweils anderen beiden Länder gleiche Rechte im jeweiligen Nationalstaat zubilligt. Interessanterweise gestehen die EU-Bürger auch den Bürgern der Türkei weitgehend gleiche Rechte zu, während letztere die Idee der europäisierten Chancengleichheit überwiegend ablehnen. Zweitens sind diejenigen, die sich gegen die europäisierte Chancengleichheit aussprechen, zwar durch sozialstrukturelle und kulturelle Merkmale gekennzeichnet, weshalb die Basis für die Entstehung von politischen Konfliktlinien in Ansätzen gegeben ist. Allerdings hat diese Konfliktstruktur eher einen moderaten Charakter und wird nur im geringen Maße die Grundlage für eine massive Politisierung liefern. Drittens zeigen die Ergebnisse, dass auch in der Alltagspraxis der Bürger die allgemeine Wertevorstellung der Gleichbehandlung aller EU-Bürger weithin verankert ist. Insgesamt deuten die Befunde also darauf hin, dass die Grundlagen für eine sozial integrierte europäische Gesellschaft jenseits des Nationalstaats gegeben sind.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2009): Europäisierte Chancengleichheit? Einstellungen zur Öffnung des deutschen Arbeitsmarkts für EU-Ausländer. Berliner Journal für Soziologie 19, 4: 627-652
Jürgen Gerhards & Holger Lengfeld
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(2009): Europäisierung von Gerechtigkeit aus Sicht der Bürger. Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), H. 47: 21-26
Jürgen Gerhards & Holger Lengfeld
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(2009): The Idea of Equality of All Europeans and How It Is Supported by the Citizens of the European Union, in: Yilmaz Esmer, Hans-Dieter Klingemann & Bi Puranen (Eds.): Religion, democratic values and political conflict (Festschrift in Honor of Thorleif Pettersson) Uppsala: Acta Universitatis Upsaliensis: 61-72
Jürgen Gerhards
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(2009): Von der nationalen zur europäischen sozialen Sicherheit? Das Gleichheitsskript der Europäischen Union und die Einstellungen der Bürger. In: Sylke Nyssen & Georg Vobruba (Hg.): Ökonomie und Sozialstaat in der Transnationalisierung. Wiesbaden, VS-Verlag für Sozialwissenschaften: 109-131
Jürgen Gerhards & Holger Lengfeld
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(2010): Europäisierte Chancengleichheit? Einstellungen zur Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes und zur politischen und sozialen Gleichheit aller EU-Bürger, in: Hans-Georg Soeffner (Hg.): Unsichere Zeiten. Verhandlungen des 34. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Wiesbaden, VS-Verlag für Sozialwissenschaften (CD-ROM)
Jürgen Gerhards & Holger Lengfeld
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(2011): European Integration, Equality Rights and People’s Beliefs: Evidence from Germany. European Sociological Review (first published online 4.5.2011)
Jürgen Gerhards & Holger Lengfeld