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Die Gabe der Anerkennung. Hegels Jenaer Realphilosophie und die Theorie der Gabe von Marcel Mauss

Fachliche Zuordnung Praktische Philosophie
Förderung Förderung von 2008 bis 2014
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 62809308
 
Erstellungsjahr 2014

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Die zweite Projektphase war durch eine Perspektivenverschiebung geprägt, die eine erweiterte Sicht auf die im Erstantrag skizzierte Verbindung zwischen Hegels Theorie der sozialen Anerkennung und die von Marcel Mauss beschriebenen Gabepraktiken in Stammesgesellschaften erlaubt hat. Ausschlaggebend dafür war die aus Hegels Jenaer Philosophie des Geistes herausgearbeitete besondere Stellung der Entäußerung in der Arbeit, die dort stets mit einer Bewegung des »Sich-zum-Ding-Machens« verbunden wird. Anders als die später von Georg Lukács vorgebrachte Kritik an einer Verdinglichung durch kapitalistische Produktionsverhältnisse, zielt Hegels Wendung vom »Sich-zum-Ding-Machen« auf einen notwendigen Prozess der Formgebung und Objektivierung, ohne den die Subjekte kein Selbstverhältnis ausbilden könnten. Wie gezeigt werden konnte, hängt die Anerkennung des individuellen Willens für Hegel wesentlich von solchen Vorgängen der Verdinglichung ab. Das zeigt sich insbesondere in Hegels Betrachtung des Tausches, in dem sich eine intersubjektive Anerkennung und ein passives »Anerkanntsein« durch die Allgemeinheit überkreuzen. Weitgehend unbemerkt von der bisherigen Forschung sieht Hegel den allgemeinen Wille, der im Tausch als vermittelnde Instanz zwischen die Individuen tritt, dort in den ausgetauschten Dingen verkörpert. Die damit bei Hegel angedeutete soziale Vermittlung durch die Dinge wurde dann mit Hilfe der Gabe-Theorie von Marcel Mauss weiter verfolgt. Was Hegel als »Sich-zum-Ding-Machen« bezeichnet, erläutert Mauss in seinem Essay Die Gabe als eine »Vermischung« von Person und Sache im Gabentausch. Indem die Tauschenden einen Teil ihrer selbst geben, entstehen verpflichtende soziale Bindungen, die über die Tauschhandlungen hinaus den Zusammenhalt der Gemeinschaft sichern. Da Mauss sowohl die Ökonomie als auch das Recht auf dieses Prinzip der Gabe zurückführt, tritt die eminent soziale Bedeutung des Dingbezugs hier deutlich stärker hervor als bei Hegel. Der neue Fokus auf die vermittelnde Rolle der Dinge sowohl für die Bildung einer Individualität als auch die Konstitution des Sozialen hat es weiterhin ermöglicht, die vorgeschlagenen Interpretationen von Hegel und Mauss als Erweiterung des marxistischen Verdinglichungsdiskurses zu verstehen. Ein einleitendes Kapitel zu der von Lukács ausgehenden und in der Frankfurter Schule fortgesetzten Verdinglichungskritik bereitet nun den Boden, auf dem die Tragweite des bei Hegel und Mauss entdeckten konstitutiven Verdinglichungsprozesses sichtbar wird. Aus dieser Rahmung des gesamten Projekts ergab sich ebenfalls eine Neuausrichtung des Schlusskapitels, in dem jetzt die Frage im Vordergrund steht, inwiefern der bei Hegel und Mauss freigelegte positive Verdinglichungsbegriff eine normative Grundlage für eine kritische Sicht auf die Gegenwartsgesellschaft liefern kann. Dazu wurde einerseits für eine sozialphilosophische Aufwertung von Tauschprozessen plädiert, da diese im Gegensatz zur Arbeit, auf die sich die neuzeitliche politische Ökonomie stützt, von zwischenmenschlichen Verhältnissen ausgehen und intrinsisch an einem Moment der Gleichheit orientiert sind. Andererseits konnte in Auseinandersetzung mit neueren Theorien aus dem Bereich der »Materiellen Kultur« erste Argumente vorgebracht werden, die es erlauben, auch unter Bedingungen des Massenkonsums an einer wesentlich sozialen Bedeutung der Dingwelt festzuhalten. Dieser letzte Schritt soll in zukünftigen Forschungsprojekten weiter ausgebaut werden.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • »Asymmetrische Reziprozität. Über das Verhältnis von Gabe und Anerkennung bei Marcel Hénaff«, in: WestEnd. Neue Zeitschrift für Sozialforschung, Heft 1/2010, S. 111-122
    Dirk Quadflieg
  • »Stichwort: Marcel Hénaff - Gabe und soziale Integration«, in: WestEnd. Neue Zeitschrift für Sozialforschung, Heft 1/2010, S. 63-67
    Dirk Quadflieg
  • Alterität und Anerkennung. Baden-Baden 2011, Nomos Verlag, 197 Seiten
    Dirk Quadflieg, Andreas Hetzel u. Heidi Salaverría (Hrsg.)
  • »Die Unmöglichkeit der Gabe anerkennen. Anerkennung und Zeitlichkeit bei Hénaff, Ricœur und Derrida«, In: Hetzel, A./Quadflieg, D./Salverría, H. (Hg.): Alterität und Anerkennung. Baden-Baden 2011, S. 77-91
    Dirk Quadflieg
  • »Über das dialektische Verhältnis von Verdinglichung und Freiheit. Von Lukács zu Honneth – und zurück zu Hegel«, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Heft 5/2011, S. 701-715. - engl.: »On the Dialectics of Reification and Freedom: From Lukács to Honneth – and back to Hegel«, in: Symposium. Canadian Journal of Continental Philosophy, Heft 1/2013, S. 132-149
    Dirk Quadflieg
  • »Über den strukturellen Zusammenhang von Gabe und Ökonomie. Kritische Anmerkungen zu Frank Hillebrandts Praktiken des Tauschens«, in: Soeffner, H.-G. (Hg.): Transnationale Vergesellschaftungen. Wiesbaden 2012, S. 1021-1032
    Dirk Quadflieg
  • »Sozialphilosophische Aspekte des Personenbegriffs«, in: Heinze, M./Schlimme, J. E./Kupke, Ch. (Hg): Personalisierte Psychiatrie. Zur Kritik eines Konzepts. Berlin 2013, S. 100-111
    Dirk Quadflieg
  • »Tauschen und Geben«, in: Eggert, M. K. H./Hahn, H. P./Samida, S. (Hg.): Handbuch Materielle Kultur. Bedeutungen – Konzepte – Disziplinen. Stuttgart 2014, S. 117-124
    Dirk Quadflieg
  • »Verdinglichen«, in: Eggert, M. K. H./Hahn, H. P./Samida, S. (Hg.): Handbuch Materielle Kultur. Bedeutungen – Konzepte – Disziplinen. Stuttgart 2014, S. 148-155
    Dirk Quadflieg
 
 

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