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Der spätneolithische Fundplatz Shir: Siedlung und Umland des 7. Jts. v.Chr. in der nördlichen Levante

Fachliche Zuordnung Ägyptische und Vorderasiatische Altertumswissenschaften
Ur- und Frühgeschichte (weltweit)
Förderung Förderung von 2008 bis 2017
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 65452025
 
Erstellungsjahr 2017

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Die Siedlung Shir in Westsyrien wurde während acht Grabungskampagnen in den Jahren 2006 bis 2010 im Rahmen eines deutsch-syrischen Kooperationsprojektes archäologisch untersucht. Ursprünglich geplante weitere Feldforschungen konnten aufgrund der veränderten Situation in Syrien ab Frühjahr 2011 nicht mehr realisiert werden. Die Auswertung von Funden und Befunden aus der o.g. Projektphase erfolgte in den Jahren 2011-2016/2017. Die Endpublikation in zwei Bänden ist für 2018 und 2019 geplant. Der Ort liegt in einer Region, die einerseits günstige Bedingungen für landwirtschaftlichen Anbau und Tierhaltung bot, andererseits auch eine große Varianz an wilden Pflanzen und Tieren aus der näheren Umgebung aufwies. Die Besiedlung von Shir umfasst fast das gesamte 7. Jt. v. Chr. (7000 – 6200/6100 v. Chr.) und damit das frühe Spätneolithikum. Mit einer maximalen Gesamtgröße von etwa 4 Hektar im Zeitraum um 6500 v. Chr. gehört die Siedlung zu den mittelgroßen Orten dieses Zeitraums. Es konnte jedoch nachgewiesen werden, dass der Ort zu Beginn und gegen Ende seiner Existenz deutlich kleiner war und nur etwa jeweils 2 bis 2,5 Hektar umfasste. Die Ausgrabungen in Shir konzentrierten sich auf das Süd-, das Zentral- und das Nordostareal, in denen jeweils unterschiedliche Fragestellungen verfolgt wurden: die Ermittlung der stratigraphischchronologischen Gesamtabfolge, die Untersuchung des Siedlungslayouts und die Erforschung von zwei Sonderbauten. Im Süden konnten die ältesten Schichten um 7000 v. Chr. gegründeten Siedlung erfasst werden. Innerhalb von sechs Bauschichten findet sich komplexe Architektur mit mehrräumigen, rechteckigen Gebäuden mit Steinfundamenten, aufgehenden Lehmziegel- oder Pisémauerwerk, von dem sich fast nichts erhalten hat, und Fußböden aus weißem Kalkmörtel. In und zwischen den Gebäuden fanden sich in allen Schichten zahlreiche Bestattungen von Säuglingen und Kleinkindern bis zu 2 Jahren, die unter Fußböden und Mauern niedergelegt waren. Wie die anthropologische Analyse zeigt, litten viele der Kinder unter Mangelkrankheiten. Eines der Gebäude wurde wahrscheinlich über einen langen Zeitraum als „Totenhaus“ benutzt. Im Grabungsbereich Süd wurde bereits in den ältesten Schichten um 7000 v. Chr. Keramik gefunden, die damit zur ältesten Töpferware des Nahen Ostens gehört. Die Gefäße des Dark-Faced Burnished Ware-Typs stellten zu diesem Zeitraum offenbar etwas Besonderes und sind vergleichsweise selten. Erst um 6800/6700 v. Chr. werden Keramikgefäße Alltagsgegenstände, die in großer Menge gefertigt wurden und weniger sorgfältig hergestellt sind als in der Initialphase. Eine Besonderheit bildet das Auftreten von Großgefäßen um 6600/6500 v. Chr. von bis zu einem Meter Höhe, die wahrscheinlich zur Lagerung pflanzlicher Nahrung benutzt wurden. Die Fertigung handwerklicher Produkte erfolgte vorrangig vor Ort auf Haushaltsebene mit lokalen Ressourcen, wie z.B. qualitativ hochwertigem Silex zur Herstellung von Werkzeugen und Kalkstein zur Produktion von Gefäßen. Daneben finden jedoch sich auch herausragende Objekte, die offenbar von Spezialisten gefertigt wurden. Seltene und wertvolle Rohstoffe wie Obsidian, Karneol und Türkis sowie Meeresmuscheln wurden im Rahmen von Fernhandelskontakten aus dem anatolischen Raum, der Südlevante, dem Roten Meer und dem Mittelmeer importiert. Der zentrale Siedlungsbereich ist in seinen jüngeren Schichten durch eine lockere Ansammlung sehr unterschiedlicher Hausformen charakterisiert. Allgemein ist offensichtlich, dass die Anordnung der Gebäude keinem erkennbaren Muster folgt. Auch eindeutige „Verkehrsflächen“ wie Wege und Plätze lassen sich nicht erkennen. Der zentrale Siedlungsbereich wird bis etwa 6200/6100 v. Chr. genutzt und dann verlassen. Danach entstand in diesem Siedlungsteil zwischen den verfallenen Häusern ein Bestattungsplatz, in dem die Toten als Hocker in einfachen Erdgruben ohne Beigaben bestattet wurden. Der nordöstliche Siedlungsbereich ist durch zwei gleichartige Gebäude (Haus A und B) charakterisiert, für deren Form und Größe es in der übrigen Siedlung keine Parallelen gibt. Sie sind von langrechteckiger Form und weisen jeweils zwei Reihen kleiner Räume auf. Sie wurden um 6300 v. Chr. errichtet und später durch einen U-förmigen Bau verbunden. Beide Häuser weisen keine Zugänge von außen auf. Verschiedene Indizien belegen jedoch, dass die Gebäude Obergeschosse besaßen. Die (erhaltenen) Untergeschosse waren daher wahrscheinlich über Öffnungen im Fußboden des Obergeschosses mit Hilfe von Leitern zugänglich. Die Funktion der erhaltenen Untergeschosse liegt wohl überwiegend in der Lagerung und Verarbeitung pflanzlicher Nahrungsmittel, worauf die zahlreichen Gefäße und Geräte zur Pflanzenverarbeitung in allen Räumen hinweisen. Allerdings belegt der Füllschutt für jeden einzelnen Raum eine unterschiedliche Ablagerungsgeschichte, was auf eine komplexe Nutzung insbesondere des östlichen Gebäudes A hindeutet. Der außergewöhnliche Gebäudekomplex könnte entweder durch Gruppen oder Einzelpersonen von herausgehobenem Sozialstatus als Wohn- und Speicherhaus errichtet und genutzt worden sein oder aber eine Funktion als kommunales Magazin und/oder Versammlungshaus für die lokale Gemeinschaft gehabt haben. Wie der zentrale Siedlungsbereich wird auch dieses Dorfgebiet um 6200/6100 v. Chr. von den Einwohnern aufgegeben und danach nie wieder besiedelt. Ob ein längerfristiger Klimawandel für die Aufgabe ausschlaggebend war, lässt sich nicht eindeutig entscheiden. Das weitgehende Fehlen von Siedlungen des 6. Jt. v. Chr. in der Umgebung könnte jedoch in diese Richtung gedeutet werden.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • 2011. The Lithic Artifacts from the Late Neolithic Settlement of Shir/Western Syria, Zeitschrift für Orient-Archäologie 4, 212-244
    Rokitta-Krumnow, D.
  • 2012. The Cord-Impressed Pottery from the Late Neolithic Northern Levant: Case-Study Shir (Syria), Paléorient 38.1-2, 65-77
    Nieuwenhuyse,O.P., Bartl, K., Berghuijs, K. Vogelsang-Eastwood, G.
  • 2013 The significance of long blade caches and deposits at Late Neolithic Shir, Syria, in: F. Borrell, J. Ibanez, M. Molist (eds.), Stone Tools in Transition: From Hunter-Gatherers to Farming Societies in the Near East, 7th conference on PPN Chipped and Ground Stone Industries of the Fertile Crescent, Universita Autonoma de Barcelona, Servei de Publicacions, Bellaterra (Barcelona), 231-245
    Rokitta-Krumnow, D.
  • 2013. Shir/West Syria: The Settlement and its Surroundings in the 7th Millennium BC, in: O. Nieuwenhuyse, R. Bernbeck, P.M.M.G. Akkermans, J. Rogasch (eds.), Interpreting the Late Neolithic of Upper Mesopotamia, Brepols Publishers, Turnhout (Belgium), 417-428
    Bartl, K.
  • 2014. Shir – Settlement and Environment of the 7th Millennium BC in the Northern Levant, In: K. Bartl, M. al-Maqdissi (eds.), Archaeological Prospecting in the Orontes Region, Orient-Archäologie 30, 149-161
    Bartl, K., al-Hafian, W.
  • 2017. The Early Pottery from Shir, Northern Levant, in: A. Tsuneki, O. Nieuwenhuyse, S. Campbell (eds.), The Emergence of Pottery in West Asia, Oxbow Books, Oxford & Philadelphia, 73-82
    Nieuwenhuyse, O.P.
  • The Late Neolithic site of Shir. Volume I. The excavations at the south area 2006 – 2009” (Damaszener Forschungen ; Bd. 18). VII, 753 Seiten
    K. Bartl (ed.)
 
 

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