Detailseite
Ekphrasis: Literarizität und Tradition in der englischen Literatur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit
Antragsteller
Professor Dr. Andrew James Johnston
Fachliche Zuordnung
Europäische und Amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaften
Förderung
Förderung von 2008 bis 2015
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 13369539
Am Beispiel der literarischen Figur der Ekphrasis, hier im engeren Sinne als literarische Bildbeschreibung meist imaginärer Kunstwerke zu verstehen, untersucht das Projekt Wissenswandel und Traditionsbildung innerhalb der englischen Literatur. Dies wird unter der Vorgabe möglich, dass die Ekphrasis als Topos aufgefasst wird, der einerseits Wissen bindet und verfügbar macht, dieses Wissen aber gleichzeitig flexibel hält und in immer neuen literarischen Kontexten präsentiert. In der besonderen Situation der englischen Literatur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit ereignet sich in der Appropriation und Dynamisierung des topischen Wissens auch ein politischer Prozess, der das verlockende Versprechen der Topik, von den Zumutungen der Geschichte zu entlasten, in Frage stellt. Indem nämlich über die Ekphrasis zentrale Fragen kultureller Tradition und Identität problematisiert werden, wird die Ekphrasis selbst zu einem Schauplatz der Auseinandersetzung mit der Geschichte auf vielfältigen Ebenen, bis hin zur Frage der Geschichtlichkeit des Wissens selbst. Durch das theoretische Konzept der Forschergruppe gerät die Figur der Ekphrasis in doppelter Weise in den Blick: hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Inszenierung von Literarizität und hinsichtlich ihrer Tradition in der englischen Literatur bei Chaucer, in der englischen und mittelschottischen Literatur des 15. und frühen 16. Jahrhunderts sowie in der Literatur der Shakespeare-Zeit. In ihrer vielseitigen Funktionalisierbarkeit dient die Ekphrasis der repräsentationstheoretischen Reflexion, als Waffe im Wettstreit der Künste und als narratologisches Strukturelement. Zwischen der Theoretisierung der Ekphrasis in Antike, Mittelalter und Renaissance – sie wird in den Rhetoriken und Poetiken ausschließlich als descriptio im Dienste der enargeia konzeptualisiert – und den komplexen Formen ihrer metapoetischen und traditionskonstituierenden Verwendung klafft jedoch eine Lücke, die zu schließen Ziel des vorliegenden Projektes ist. Erst dann wird die Ekphrasis als ein implizites repräsentationstheoretisches Wissen von Literatur erkennbar, das sich nur in der Dynamisierung und Fragmentierung der Tradition selbst manifestiert. Dies bleibt nicht ohne Folgen für das in der Forschergruppe diskutierte Konzept der Intentionalität, zu dem das Projekt einen wichtigen Beitrag leisten kann: Denn das in der Ekphrasis Gewusste ist intentional, ohne in einem historischzeitgenössischen Lexikon adäquater Begrifflichkeiten gefasst werden zu können. Vermittels literarischer Verfahren wie etwa der Fiktionalisierung oder der Narrativierung unterwirft die Ekphrasis überlieferte Muster der Bildbeschreibung einem Prozess topischer Ausdifferenzierung, den sie zugleich auch kritisch reflektiert. Mit der Ekphrasis bringt das Projekt daher eine für die Bild-Text- Debatten der Forschergruppe spannende Figur in die Diskussion ein. In ihrer ›Selbstreflexivität‹ kommt der Ekphrasis eine besondere Bedeutung zu, sobald das Konzept der literarischen Tradition aufgrund neuer kultureller Einflüsse und neu gestellter Fragen nationaler Identität als solches problematisch wird – wie im England des späten 14. Jahrhunderts und dem der Shakespeare-Zeit. In den genannten Epochen wird die Ekphrasis daher, so eine der leitenden Thesen des Projekts, zum zentralen Ort, an dem Inhalte und Prinzipien der Memorialverwaltung ebenso wie das Konzept der Traditionalität selbst diskutierbar werden. In diesem spezifischen Zusammenhang löst die Topik ihr zwiespältiges Versprechen, Geschichte scheinbar still zu stellen, gerade nicht ein, sondern sie wird zu einem Schauplatz von Konflikten, in denen das Ästhetische politisch wird.
DFG-Verfahren
Forschungsgruppen