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Städtische Umweltqualität als Ergebnis von Aushandlungsprozessen - industrielle Unternehmen als Akteure in der Umwelt-Governance in Indien

Fachliche Zuordnung Humangeographie
Förderung Förderung von 2008 bis 2013
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 77350602
 
Erstellungsjahr 2013

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Ziel des Forschungsprojekts war es zu analysieren, welche Rolle industriellen Akteuren in der Umwelt-Governance in Schwellenländern zukommt. Eine zentrale Arbeitshypothese in der Verlängerungsphase des Projekts war, dass insbesondere einheimische Lead Firms in den Wertschöpfungsketten der indischen Kraftfahrzeugindustrie ein ‚Greening of Supply Chains‘ und damit eine sukzessive Verbesserung der lokalen Umweltsituation bewirken. Deshalb wurden ökologische Aufwertungsprozesse in Wertschöpfungsketten vergleichend anhand einheimischer und internationaler Fahrzeughersteller sowie deren Zulieferer untersucht. Zudem sollte die Frage beantwortet werden, welche außerbetrieblichen Strukturen zu einer verbesserten regionalen Umwelt-Performance beitragen können und welche Akteure dabei eine wichtige Rolle spielen. Methodisch beruhen die empirischen Forschungen insbesondere auf themenzentrierten Unternehmensinterviews und Expertengesprächen in zwei regionalen Industrie-Clustern in Indien. Der Raum Kanpur ist eines der dominierenden indischen Zentren der Leder- und Lederwarenproduktion, der Großraum Pune ist ein wichtiger Standort der indischen Kraftfahrzeugindustrie. Insgesamt wurden im Projektverlauf 203 Interviews durchgeführt, 63 davon in der zweiten Projektphase. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass ökologische Verbesserungen bei lokalen Zulieferern zumindest in der indischen Kraftfahrzeugindustrie in der Tat eher durch einheimische Lead Firms als durch ausländische Tochterunternehmen angestoßen werden. Dies ist zum einen auf die größere Marktbedeutung der einheimischen Unternehmen und Differenzen in der Gestaltung der Zulieferpyramide zurückzuführen, andererseits auf Unterschiede in den Koordinationsformen zwischen den Lead Firms und ihren Zulieferern. Während internationale Produzenten eine kontrollorientiert gebundene Koordination präferieren, wenden einheimische Lead Firms in der Regel eine unterstützungsorientiert gebundene Koordination an. Die erste Form setzt eher auf Schriftlichkeit und Kontrolle, bei der zweiten werden Lieferanten von den Fahrzeugherstellern stärker persönlich an die Hand genommen und bei ihren Modernisierungs- und Upgrading-Bemühungen aktiv unterstützt. Dies gilt auch und vor allem für umweltrelevante Fertigungsschritte und Verfahrensabläufe, die in Greening-Programmen verbessert werden. Die Befunde unserer Forschungen zeigen somit, dass die in der Wertschöpfungskettenforschung bisher übliche Interpretation, die zu einseitig davon ausgeht, dass Impulse zur ökologischen Modernisierung vom Globalen Norden ausgehen, nicht mehr adäquat ist. Ökologische Verbesserungen werden in der indischen Kraftfahrzeugindustrie auch und vor allem von einheimischen Lead Firms durchgesetzt. Diese Erkenntnis sowie die Unterscheidung zwischen kontrollorientiert gebundener und unterstützungsorientiert gebundener Koordination können zur Weiterentwicklung von Ansätzen wie Globalen Wertschöpfungsketten und Globalen Produktionsnetzwerken beitragen. Auch hinsichtlich der Rolle von Unternehmensverbänden in regionalen Aushandlungsprozessen bzw. der Umwelt-Governance tragen die Projektergebnisse zu einer Differenzierung der bisherigen Vorstellungen bei. So lässt sich belegen, dass Industrie- und Unternehmensverbände tatsächlich wichtige Akteure der Umwelt-Governance auf verschiedenen räumlichen und administrativen Ebenen sind. Da sie aber vor allem die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Mitgliedsunternehmen im Blick haben, kann dies je nach regionalwirtschaftlichem Kontext und je nach Branche durchaus zu unterschiedlichen umweltrelevanten Aushandlungsergebnissen führen. Während die Verbände etwa im Falle der Kraftfahrzeugindustrie im Großraum Pune einen Qualitätswettbewerb und ökologische Modernisierungsprozesse erfolgreichen vorantreiben, scheitern in Kanpur letztlich viele Initiativen am mangelnden Engagement der lokalen Administration. Diese Befunde belegen die erhebliche Bedeutung von lokalen bzw. regionalen institutionellen Kontexten, wie sie im Ansatz der Globalen Produktionsnetzwerke postuliert werden. Ein unmittelbarer Anwendungsbezug war nicht Ziel des Projekts. Dennoch sind die Forschungsergebnisse über die Fachwissenschaft hinaus von praktischer Bedeutung, etwa für das Management von Zulieferbeziehungen von Unternehmen. Die Untersuchungen zur Lederverarbeitung konnten im Rahmen managementbezogener Fachzeitschriften veröffentlicht werden und wurden teilweise auch von Publikumszeitschriften aufgegriffen. Zudem diente das Fallbeispiel Kanpur aufgrund seiner didaktischen Bedeutung als Grundlage für eine Aufgabe in der schriftlichen Abiturprüfung im Fach Geographie in Nordrhein-Westfalen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2009): Risiken des Fremdbezugs aus Indien. Das Beispiel der Lederwarenindustrie. Industrie Management 25 (6), 59-62
    Braun, B. & C. Dietsche
  • (2009): Traditionsreiche Industrie unter Druck. E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit, 2009/11, Tribüne, 430-431
    Dietsche, C. & N. Reps
  • (2010): Indien abseits des Booms. Altindustrieprobleme in Kanpur, dem „Manchester“ of India. Geographische Rundschau 62 (2), 10-16
    Schüttemeyer, A. & N. Reps
  • (2010): „Unbemerkte“ Verschmutzungsoasen der Weltwirtschaft – das Beispiel der Chromsulfat-Produktion in Nordindien. Geographische Rundschau 62 (4), 54-55
    Jaiswal, R. & B. Braun
  • (2012): Going Green – Ökologische Aufwertungsprozesse und Koordinationsstrukturen in den Wertschöpfungsketten der indischen Kraftfahrzeugindustrie. Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie 56 (4), 226-243
    Reps, N. & B. Braun
 
 

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