Universitätsreformdebatten in der Besatzungszeit 1945-1949
Zusammenfassung der Projektergebnisse
An den Debatten um Universitäten und Universitätsreformen in der Besatzungszeit (1945 - 1949) treffen - so die Ausgangsüberlegung - eine Reihe von Topoi und Diskurslinien aufeinander, die für die Zeit und darüber hinaus für die Bundesrepublik prägend waren. Sie ermöglichen es, die Debatten der intellektuellen und politischen Selbstvergewisserung und Neuorientierung in ihrem semantischen Gehalt und in ihren konkreten Umsetzungen in reformerisches Handeln in den Blick zu nehmen. Einige in der Untersuchung der Diskursgeschichte der frühen Bundesrepublik sonst eher abstrakt untersuchte Themen und Topoi wie die Schulddebatte, Rolle und Zukunft des Bürgertums, die Frage nach Fortbestand oder Ende des Bildungsparadigmas und dem Verhältnis von Demokratie und akademischer Selbstverwaltung lassen sich hier an einem Gegenstand zusammenbinden, so daß auch die Bezüge deutlich zu werden versprechen, die diese Themen verbinden. Neben der in den ersten Nachkriegsmonaten besonders an den Universitäten und in bezug auf die Studenten intensiv geführten Debatte über die in deutschem Namen begangenen Verbrechen des Nationalsozialismus im Krieg und insbesondere in den Konzentrationslagern waren Universitätsdebatten nach 1945 in wesentlichen Teilen Auseinandersetzung um das Bürgertum bzw. das akademische Bildungsbürgertum. Eine zentrale Rolle spielte dabei die Frage nach Exlusions- oder Inklusionsmerkmalen des Bildungsbürgertums, insbesondere die Forderung nach sozialer Öffnung des Hochschulzugangs, die als entscheidendes Kriterium für das Gelingen einer demokratischen Gesellschaftsordnung bezeichnet wurde. Mit Bedeutungszuschreibungen an die Universität als Ort bürgerlicher Klassenformation über Bildung und Habitus war die Debatte über die fortdauernde Gültigkeit oder Infragestellung von Bildung verknüpft. Die Studie hat daher den Zusammenhang thematisiert, der zwischen der Forderung nach einer Reform der Universitäten in der Nachkriegszeit und dem vielfach geäußerten politischen Befund besteht, daß in erster Linie das Bürgertum für den Aufstieg des Nationalsozialismus verantwortlich sei. Die vielfach geforderten Verstärkung allgemeinbildender Studieninhalte zeugt trotz aller Bildungskritik von einer fortdauernden Gültigkeit des Bildungsparadigmas. Für die Organisationsform der Universität war die Frage zentral, ob sie zumindest zeitweise der politischen Aufsicht und Kontrolle bedürfe oder akademischer Freiheits- und Selbstvenwaltungsrechte, um zu einer Stütze der Demokratie zu werden. Die Analyse der oftmals im Konflikt ausgetragenen Debatten zeigt, daß die Antagonismen weniger in einer Gegenüberstellung von Reformern und Restauratoren, von alliierten Besatzern und deutschen Professoren bestand, sondern daß grundsätzliche, stark ideologisch grundierte unterschiedliche Auffassungen insbesondere über das Bürgertum am Gegenstand der Universität ausgetragen wurden. Sowohl bei den Besatzern wie in der deutschen Politik und in der Lizenzpresse waren in den ersten Jahren diejenigen Stimmen lauter, die von einer sozialistischen oder sozialdemokratischen Grundhaltung aus argumentierten. Gleichzeitig läßt sich eine starke Persistenz von überkommenen Denkmustern beobachten. Mit einer hochgespannten, ins Grundsätzliche gehenden Reformrhetorik hielten die tatsächlich auf den Weg gebrachten Maßnahmen oftmals nicht Schritt, so daß sich bereits Ende der 1940er Jahre der Eindruck des Scheiterns der Reformbemühungen verbreitete.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Die Universität als Hort bürgerlicher Interessen oder als Wahrer bürgerlicher Werte? Analysen und Reforminitiativen in der Besatzungszeit. Vortrag gehalten im Kolloquium Zeitgeschichte der Universität Mainz, 29.04.2009
Wolbring, Barbara
- Nationales Stigma und persönliche Schuld - die Debatte über Kollektivschuld in der Nachkriegszeit, in: Historische Zeitschrift 289.2 (2009), S. 325 - 364
Wolbring, Barbara