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Fremdstoffe. Eine Geschichte der Risikopolitik prekärer Stoffe und der Genese des kritischen Verbrauchers in den fünfziger und sechziger Jahren

Fachliche Zuordnung Wissenschaftsgeschichte
Förderung Förderung von 2008 bis 2013
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 81405747
 
Erstellungsjahr 2015

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Mitte des 20. Jahrhunderts kulminierte in der Debatte über die Novelle des Lebensmittelgesetzes zugleich auch ein Streit über sogenannte Zivilisationsgifte. Die Regulierung potentiell toxischer oder kanzerogener Konservierungsmittel und Farbstoffe verband sich mit der Sorge vor einer Chemisierung und Technisierung der Umwelt. Während legislative Maßnahmen zur Kontrolle der Verwendung von Lebensmittelzusatzstoffen bereits Ende des 19. Jahrhunderts initiiert worden waren, prägte seit den 1930er Jahren das verbreitete Schlagwort vom „Gift in der Nahrung" den öffentlichen, aber auch den wissenschaftlichen Diskurs. Der Begriff „Fremdstoffe", dem in den 1950er Jahren das Konzept der gesundheitsfördernden Vitalstoffe kontrastierte, bezeichnete eine Gefährdung des Naturkörpers durch synthetische Substanzen. Dieser Diskurs erhielt eine besondere Verbreitung durch das Verbot des Farbstoffs Buttergelb, der in den 1940er Jahren unter dem Verdacht stand, krebserregend zu sein. Dabei wurde mit der Summationsthese nicht nur eine neue toxikologische Theorie für kanzerogene Stoffe eingeführt, sondern auch, vor allem vermittelt durch die Farbstoffkommission der DFG, eine neue Risikopolitik bezüglich der in Nahrungsmittel verwendeten Substanzen eingefordert. In den 1950er und 60er Jahren wurde über die Zusatzstoffe Buttergelb, Hexamethylentetramin und Diphenyl ausgiebig öffentlich diskutiert und dabei auch über Risikovermeidung und Risikokalkulation gestritten. Ersteres wurde sowohl von der Farbstoffkommission als auch von radikal-puristischen Gruppierungen wie der öffentlich sehr beachteten Vitalstoffgesellschaft eingefordert. Letztgenannte Position wurde wiederum von den Interessengruppen der Lebensmittelwirtschaft vertreten und entsprechend durch Lobbyarbeit an die politischen Entscheidungsträger herangetragen. Einer Präventionspolitik in Bezug auf prekäre Stoffe stand das Primat von Wirtschaftsinteressen gegenüber. Verbraucherpolitik wurde bis weit ins 20. Jahrhundert hinein vor allem von Hausfrauenorganisationen vertreten. Diese spielten auch bei der Debatte zur Novelle des Lebensmittelgesetzes eine entscheidende Rolle. Es waren dann auch parteiübergreifend sämtliche weiblichen Abgeordneten im Bundestag, die den Erlass eines auf dem Verbotsprinzip beruhenden Gesetzes durch setzten, das allerdings in der Folge durch verhandelbare Verordnungen teilweise wieder entschärft wurde. Verbraucherpolitik wurde in der Bundesrepublik just in diesem Konnex neu ausgerichtet; eine organisierte Verbraucherbewegung konstituierte sich vor allem anlässlich der öffentlichen Auseinandersetzungen über das Lebensmittelgesetz. Dem puristischen Diskurs eines von Zivilisationsprodukten gefährdeten Körpers kam dabei eine anhaltend bedeutsame Funktion zu, die gerade auch in der Umweltbewegung, aber ebenso in den Medien spätestens seit den 1960er Jahren von zentraler Bedeutung war.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • 'Hexa-Sabbat'. Fremdstoffe und Vitalstoffe, Experten und der kritische Verbraucher in der BRD der 1950er und 1960er Jahre. NTM. Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaft, Technik und Medizin, Vol. 17. 2009, Issue 1, pp. 55–83.
    Heiko Stoff
    (Siehe online unter https://dx.doi.org/10.1007/s00048-008-0326-x)
  • Summationsgifte. Zum Evidenzproblem einer Pharmakologie krebserregender Substanzen in den 1950er Jahren. In: Gabriele Moser/Joseph Kuhn/Sigrid Stockei (Hg.), Die statistische Transformation der Erfahrung. Beiträge zur Geschichte des Evidenzdenkens in der Medizin. Freiburg: Centaurus, 2012, S. 33-62.
    Heiko Stoff
  • Lebensmittelzusatzstoffe: eine Geschichte gefährlicher Dinge und ihrer Regulierung, 1950-1970er Jahre. Technikgeschichte, Jg. 81. 2014, Heft 3, S. 215-228.
    Schwerin, Alexander von/Stoff, Heiko
    (Siehe online unter https://dx.doi.org/10.5771/0040-117X-2014-3-215)
  • Oestrogens and Butter Yellow. Gendered Policies of Contamination in Germany, 1940-1970. In: Teresa Ortiz-Gomez/Maria Jesus Santesmases (Hg.), Gendered Drugs and Medicine. Historical and Socio-Cultural Perspectives. Farnham: Ashgate, 2014, S. 23-41.
    Heiko Stoff
  • Zur Kritik der Chemisierung und Technisierung der Umwelt. Risiko- und Präventionspolitik von Lebensmittelzusatzstoffen in den 1950er Jahren. TG Technikgeschichte, Jg. 81. 2014, Heft 3, S. 229-250.
    Heiko Stoff
    (Siehe online unter https://dx.doi.org/10.5771/0040-117X-2014-3-229)
  • Gift in der Nahrung - Zur Genese der Verbraucherpolitik Mitte des 20. Jahrhunderts. Stuttgart: Steiner, 2015, 248 S.
    Heiko Stoff
 
 

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